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KZ-Häftlinge statt Nazis mit Cap Arcona versenkt

Tragischer Fehler der Alliierten führte zur Katastrophe

Von Reinhard Brockmann
Kiel (WB). Schleswig-Holstein gedenkt heute des 60. Jahrestages der Cap-Arcona-Katastrophe. Ministerpräsident Peter Harry Carstensen ehrt die Opfer mit einer Feierstunde.
Der Passagierdampfer »Cap Arcona« wurde vor 60 Jahren von britischen Jagdbombern in der Lübecker Bucht versenkt. Was die Piloten nicht wussten: Der Luxusliner war vollgepfercht mit Tausenden Häftlingen. Mehr als 7000 starben bei dem verheerenden Angriff -Ê nur wenige Tage vor Ende des Krieges. Der Sender Phoenix berichtet heute um 20.15 Uhr noch einmal über das Geschehen. Foto: Phoenix/WDR/dpa

Am 3. Mai 1945 bombardierten alliierte Flieger die in der Lübecker Bucht liegenden Schiffe Cap Arcona, Thielbeck und Deutschland. Auf die Schiffe hatte SS-Wachpersonal tausende Häftlinge aus dem KZ Neuengamme evakuiert. Bei dem Angriff kamen mehr als 7000 Häftlinge aus 24 Nationen ums Leben. Nur 500 überlebten.
Hitler war schon tot, Hamburg und Berlin hatten kapituliert, als die Royal Air Force zum letzten großen Luftangriff startete. Ziel waren Schiffsansammlungen in der Kieler und Lübecker Bucht. Die größten Schiffe gerieten ins Visier der Bomber und Tiefflieger: dieser grauenhafte Irrtum kostete Tausende das Leben.
Rettungsversuche von Land unterblieben, im Kriegstagebuch der Royal Airforce steht, dass »viele Hunnen die Ostsee heute sehr kalt fanden.«
Da der größten Schiffskatastrophe aller Zeiten nur wenig Publizität widerfuhr, vermuteten nicht nur ehemalige Häftlinge ein Komplott des Schweigens: die einen hatten kein Interesse an ihrer verbrecherischen Vergangenheit, die anderen interessierten sich nicht für die Folgen ihrer rücksichtslosen Kriegsführung.
Bis heute ist noch nicht restlos geklärt, wie es zu der tragischen Fehleinschätzung der Alliierten gekommen ist. Einerseits sollen ihnen Informationen über einen Fluchtversuch von Nazi-Größen vorgelegen haben. Andererseits scheint es sicher, dass schwedische Rot-Kreuz-Unterhändler am Tag vor der Katastrophe die britischen Militärs über den wahren Sachverhalt informierten. Fest steht: Die Nazis konnten die Spuren ihrer Schreckenstaten verwischen - und das ausgerechnet durch die Bomben der »Befreier«.
Überlebende berichteten später über grauenvolle Zustände an Bord, denen schon vor dem Angriff Hunderte zum Opfer fielen. Britische Piloten erfuhren hernach, wie ihr vermeintlicher Triumph zu einem lebenslangen Trauma wurde - zur Gewissheit, Tausende Unschuldiger getötet zu haben.
1954 wurden die am Strand bei Schwansee-Barendorf vorläufig begrabenen Opfer auf den Tannenberg bei Grevesmühlen umgebettet. Erst am 11. September 1957 wurde dort eine Gedenkstätte eingeweiht.

Artikel vom 03.05.2005