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Die Marke Chanel und der Mann mit dem Zopf

Umfangreiche Ausstellung beginnt in New York

New York/Hamburg (dpa). Das Wort »Retrospektive« würde hier niemand in den Mund nehmen. Als »Dialog zwischen Gegenwart und Vergangenheit« bezeichnet Kurator Harold Koda die große Chanel-Ausstellung, die am Donnerstag im New Yorker Metropolitan Museum of Art eröffnet wird, und damit weiß er sich auf einer Linie mit Chanel-Designer Karl Lagerfeld.

Rückblick, das bedeutet für Lagerfeld Rückschritt. Immer auf dem Weg zu neuen Ufern ist der wohl berühmteste Modemacher der Welt, in Fachkreisen wird er auch der »Designer, der niemals schläft« genannt. Mit weißgepudertem Mozartzopf (»die bequemste Frisur, die es gibt« und »das einzige Mittel, meine eigentlich gelockten Haare zu halten«), Sonnenbrille und Fächer hat er sich zu seinem eigenen Markenzeichen gemacht. Hinter diesen Insignien verbirgt er die von vielen als äußerst feinfühlig geschilderte eigene Person. Hinzu kommen seine »Kodderschnauze« und der Mut, sich immer wieder neu zu erfinden. Das Multitalent - Lagerfeld entwirft Mode für verschiedene Häuser, fotografiert, ediert Bücher und hat auch schon Hotels ausgestattet - muss in Bewegung bleiben. Da ist er sich einig mit Coco Chanel, die meinte, eine Frau müsse jederzeit in der Lage sein, im Laufen einen Bus zu erreichen.
Coco Chanel (1883-1971), die den Kurzhaarschnitt, Frauenhosen, Sportlichkeit und so bequeme wie elegante Kleidung in Mode brachte, war Zeit ihres Lebens eine Verfechterin weiblicher Modernität. »Modern«, das ist auch ein Lieblingswort von Lagerfeld, der 1983 antrat, der Marke Chanel ein zeitgemäßes Gesicht zu verpassen.
Heute denkt jeder bei Chanel sofort an den Mann mit dem Zopf. Mit 66 Jahren befindet er sich auf dem Zenit seines Ruhms. Als er im vergangenen Jahr eine Kollektion für H&M entwarf, war diese in Windeseile ausverkauft. Furore machte auch der Verkauf seiner Marke Lagerfeld Gallery an Tommy Hilfiger. Wo er auftritt, ob in der Provinz oder in New York: Karl Lagerfeld gleicht einem Rockstar. Auch hier gibt es eine Parallele zu Mademoiselle Chanel: Die stellte mit 70 Jahren die Modewelt noch einmal auf den Kopf und wurde zum Superstar.
Die vielen Bezüge zwischen Coco und Karl, Chanel gestern und heute, werden in der Ausstellung anhand von Dutzenden Kleider-Modellen und Accessoires, Video-Installationen und Zitaten gezogen. Zugleich erscheint ein Katalog, für den Lagerfeld eigenhändig Fotos von Kleidermodellen mit gezeichneten Köpfen oder Gliedern versehen hat.
Hintergrund: Das Museum untersagt es, dass von ihm ausgestellte Kleider noch einmal von Menschen getragen werden. »Die Kuratoren können also nicht in Museumskleidern auf Partys gehen«, kommentierte Lagerfeld.

Artikel vom 03.05.2005