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»Ich hätte den Krieg
gegen alles getauscht«

Johannes Fredebeul entging dem Tod nur mit knapper Not

Bielefeld (WB). »Wir haben den Krieg damals als Abenteuer genommen«, sagen viele Zeitzeugen, die noch als halbe Jungs eingezogen wurden. Johannes Fredebeul jedoch winkt ab: »Ich hätte mit jedem Gefangenen sofort getauscht. Ich hatte schon genug vom Wehrertüchtigungslager, in das ich mit 15 gesteckt wurde.«

»Sie werden hiermit aufgefordert, sich am 3. Februar 1944, vormittags 7.30 Uhr, in der hiesigen Realschule zur Musterung einzufinden.« Da stand der 16-Jährige nun, sauber (»Sie haben in gewaschenem Zustande zu erscheinen«) und für alle Eventualitäten gerüstet (»Sport- oder Badehose mitbringen«), in einer Reihe mit Gleichaltrigen, und vor ihm stand die SS.
»Vor mir hatten bereits zwei oder drei abgelehnt, in die Waffen-SS einzutreten, und jetzt war ich an der Reihe. Ich war ziemlich groß, nach deren Maßstab also ideal, und als ich trotzdem herumdruckste, bellte mich der SS-Mann an, ich hätte wohl aus ideologischen Gründen etwas gegen die Truppe«, berichtet Fredebeul, heute 77 Jahre alt, der 1980 in Bielefeld an der Falkstraße eine Immobilienfirma gründete. »Da hab ich halt unterschrieben.«
Nach Hause zurückgekehrt, schlug der Vater die Hände über dem Kopf zusammen. »Um Gottes Willen - du meldest dich jetzt sofort zur Luftnachrichten-Truppe!« Fredebeul sen. hatte gehört, der Dienst in jener Einheit sei vergleichsweise ungefährlich, und so musterte der Sohn bei der Fallschirmpanzerdivision »Hermann Göring« an.
Aber in den letzten Kriegsmonaten, als es um Sein oder Nichtsein des NS-Regimes ging, war jeder Einsatz gefährlich, vor allem die Rückzugskämpfe gegen die Rote Armee. »Mit einem Granatsplitter im Bein und erfrorenen Zehen erreichte ich Danzig. Nicht weit davon lag die ÝWilhelm GustloffÜ, aber bis dort schaffte ich es nicht mehr. Dann hieß es: Der Kessel ist zu, die Russen haben Danzig eingekreist. Endstation.«
Allen Gerüchten zum Trotz »bastelte« ein Kamerad eine funktionstüchtige Lokomotive zusammen. Wider Erwarten war der Weg nach Westen doch noch offen.
Wenig später rauschte sein Zug auf einen vor einer zerstörten Brücke haltenden Lazarettzug, »überall schrieen die Verletzten«. Pioniere reparierten die Brücke; Johannes Fredebeul hätte zwar gar nicht umsteigen dürfen, aber weil er versprach, sich um einen halbverbrannten Panzerfahrer zu kümmern, ließ man ihn doch mitfahren. Nach Stettin.
Bis nach Flensburg ins Lazarett hatte es der Junge schließlich geschafft, als ihn die gefürchteten »Kettenhunde«, die Militärpolizisten, erwischten: »Sie können doch schon wieder laufen, kommen Sie mit!« Und dann ging die Fahrt wieder nach Osten, nach Berlin, Gräben ausheben für den Endsieg gegen die sowjetische Feuerwalze.
»Am 20. April, zu ÝFührers GeburtstagÜ, erhielten wir Wein und Zigaretten, aber da erbarmte sich unser Kompanieführer des zusammengewürfelten Haufens und sagte, wir sollten zusehen, dass wir nach Hause kämen.« Gerüchteweise hieß es, ein Umweg - zunächst nach Osten - sei noch gangbar. Diesmal vertraute Johannes Fredebeul den Aussagen.
»Es regnete in Strömen, und das war unser Glück. Der Regen hatte das Unterholz so sehr aufgeweicht, dass wir zu sechst ungehört durch die feindlichen Reihen entkamen.« Also: wieder Flensburg. Nur: Diesmal waren es Soldaten von der Küstenartillerie, »eine straff geführte Einheit«, die den 17-Jährigen zur Fortführung des Kampfes zwingen wollten.
Mit List und Tücke und der Hilfe eines Stabsarztes entging Johannes Fredebeul der erneuten Verpflichtung zum Militärdienst. Und dann war der Krieg endlich zu Ende. Aber das Grauen wollte einfach nicht aufhören.
»Alle, die des Englischen mächtig waren, bekamen eine weiße Armbinde mit der Aufschrift ÝGerman ControlÜ - und eine Waffe. Nördlich von Plön, bei Schönberg, mussten wir einen Küstenstreifen bewachen, auf dem die Reste der Wlassow-Armee lagen.« Die Kosaken, die auf deutscher Seite gegen Stalin gekämpft hatten, sollten dem roten Diktator ausgeliefert werden. »Das waren wilde Kerle, die wussten, sie waren praktisch tot.« Fluchtversuche waren an der Tagesordnung, und manchmal sah der Soldat von Siegers Gnaden einfach nicht hin . . .
Die Maßstäbe waren ver-rückt. »Während der Kämpfe um Berlin, irgendwo fern der Front, sah ich, wie ein Kamerad einer Frau mit einem brennenden 50-Mark-Schein Feuer gab. Auf meine erstaunte Nachfrage antwortete er nur: ÝIst doch eh alles aus.Ü Was der konnte, konnte ich auch: Mit Bezugsscheinen, die ich beim Rückzug druckfrisch aus einem pommerschen Dorf hatte mitgehen lassen, gab ich im Lazarett einer Krankenschwester Feuer.«
Die Schwester erklärte den Großspurigen für übergeschnappt. »Sie schickte mich mit 20 von diesen Scheinen los. Zwei Tage haben wir inmitten des ganzen Elends recht flott gelebt.«
Trotzdem - den Krieg hätte Johannes Fredebeul gegen alles andere eingetauscht.
Am Donnerstag lesen Sie: In diesen Tagen beginnen in Holland viele Feiern mit den Siegern. Englische Veteranen erzählen.

Artikel vom 03.05.2005