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Visa-Anträge kaum noch geprüft

Früherer Kiew-Botschafter: »Gefährlicher Schwachpunkt« im Erlass

Berlin (dpa/Reuters). Der Liberalisierung der Visa-Politik in den Jahren 1999 und 2000 hat die Prüfung von Visa-Anträgen an der deutschen Botschaft in Kiew erheblich eingeschränkt. Das erklärte der frühere deutsche Botschafter in der Ukraine, Eberhard Heyken, gestern im Visa-Untersuchungsausschuss in Berlin.
Der umstrittene Visa-Erlass »Im Zweifel für die Reisefreiheit« habe den Mitarbeitern der Konsularabteilung einen Teil der Motivation genommen, sorgfältig zu prüfen. Dies sei ein »gefährlicher Schwachpunkt« gewesen.
Im so genannten Fischer-Erlass vom März 2000 sah der heutige Leiter des OSZE-Büros in Minsk eine »politische Vorgabe« der Zentrale, die man als Botschafter habe hinnehmen müssen. Er konnte sich nicht mehr daran erinnern, ob Außenminister Joschka Fischer (Grüne) bei seinem Besuch am 23. Juni 2000 in Kiew auf die problematischen Erlasse angesprochen wurde. Auch an Berichte von Sicherheitsdiensten über Visa-Missbrauch konnte sich der Diplomat nicht erinnern.
Nach seinem Besuch habe Fischer aber Zusagen für mehr Mitarbeiter gemacht. Allerdings sei später eine Bitte der Botschaft nach zusätzlichen Containern für mehr Arbeitsplätze aus Kostengründen abgelehnt worden. Heyken bestätigte, dass für die reine Entscheidung über einen Visa-Antrag nur Minuten zur Verfügung stünden. Dies sei aber auch vor 1998 - dem Jahr des Regierungswechsels in Berlin - nicht anders gewesen.
Im Zuge der Liberalisierung der Visa-Vergabe durch das Auswärtige Amt war die Botschaft Kiew in den Jahren von 2000 bis 2002 von Anträgen praktisch überrollt worden. Im Spitzenjahr 2001 wurden allein in Kiew fast 300 000 Visa erteilt.
Fischer hatte die dortigen Vorgänge in seiner Vernehmung vor einer Woche als »Sonderfall« bezeichnet. Nach Darstellung Heykens hatte es sich in Kiew rumgesprochen, dass an der deutschen Botschaft »besonders leicht« Visa zu bekommen seien.
Im Jahr 2000 seien an der deutschen Vertretung 70 Prozent aller Schengen-Visa erteilt worden. Während die Ablehnungsquote an den Botschaften Frankreichs und der Niederlande 2000 bei rund 25 Prozent gelegen habe, seien an der deutschen Botschaft von März 2000 an unter zwei Prozent der Anträge abgelehnt worden. Heyken war von März 1996 bis August 2000 Botschafter in Kiew.
Das Auswärtige Amt (AA) hat aus Sicht der früheren Leiterin der Visa-Stelle an der deutschen Botschaft in Kiew, Klara Hoppmann, nicht angemessen auf die Berichte über Visa-Missbrauch aus Kiew reagiert.
Die Probleme mit der ADAC-Reiseschutzversicherung »Carnet de touriste« seien im ersten Halbjahr 2000 in mehreren Schreiben an das AA zum Thema gemacht worden. Das Ergebnis sei leider nur gewesen, dass die Visa mit einem Zusatzvermerk »CdT« ausgestattet worden seien, sagte sie gestern im Visa-Ausschuss.
Die Botschaften waren im Oktober 1999 angewiesen worden, bei Vorlage eines CdT auf Prüfung weiterer Unterlagen zur Finanzierung, Rückkehrbereitschaft und Reisezweck »in der Regel« zu verzichten. Die Zeugin berichtete von »mafiösen Strukturen« bei der Platzvergabe unter den Visa-Antragstellern vor dem Konsulargebäude in Kiew.
Hoppmann berichtete auch von einem Drohanruf gegen Ende ihrer Amtszeit in Kiew. »Ihre Frau wird verunglücken«, habe der Anrufer ihrem Mann gesagt. Da der Anruf in zeitlichem Zusammenhang mit den ersten Schleuserprozessen in Deutschland eingegangen sei, habe sie die Drohung sehr ernst genommen. Ihre Wohnung habe damals Polizeischutz bekommen. Sie habe dies auch in einem Schleuserprozess in Köln nicht anders dargestellt.

Artikel vom 03.05.2005