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Phantasie nicht
im Griff gehabt

Prozess um Kannibalismus-Mord

Von Christian Althoff
Rahden (WB). Wegen Mordes steht seit gestern der »Kannibale« Ralf M. aus Rahden (Kreis Minden-Lübbecke) vor dem Landgericht Berlin. Der 41-Jährige hatte im Oktober seinen homosexuellen Freund (33) geschlachtet und Organe des Opfers eingepökelt.
Ralf M. ließ gestern eine Erklärung verlesen.

Angehörige des Angeklagten waren nicht zum Prozess erschienen. Dafür saß ihm die Mutter des getöteten Waldorf-Musiklehrers Joe R. gegenüber, die gefasst die Verlesung der Anklage verfolgte. Ihr Sohn hatte sich zwar von Ralf M. ans Bett fesseln lassen, doch kam der Angriff mit einem Schraubendreher für den wehrlosen Mann völlig überraschend. »Er ahnte nichts von den Kannibalismusphantasien des Angeklagten«, sagte der Bielefelder Strafverteidiger Dr. Detlev Binder, der Ralf M. vertritt.
Der Angeklagte erklärte gestern, er werde vor Gericht keine Aussage machen. Er ließ jedoch von seinem Anwalt eine Erklärung verlesen, in der er die Tat zugibt.. »Sie ist im Nachhinein für mich nicht zu begreifen«, heißt es in dem Schriftstück, und weiter: »Ich weiß, dass es eine dunkle Seite in mir gibt. Einerseits fürchte ich mich vor ihr, andererseits übt sie noch immer eine nicht unerhebliche Faszination auf mich aus.« Er schäme sich für die Tat und wage es nicht, sich bei den Familienangehörigen und Freunden des Opfers zu entschuldigen, ließ Ralf M. vortragen. »Ich habe zu lange versäumt, mich wegen meiner Neigungen in Therapie zu begeben und hatte geglaubt, meine Phantasien im Griff zu haben.« Die Erklärung endet mit den Worten des Angeklagten, ihm sei bewusst, dass er in den nächsten Jahren in einer geschlossenen Klinik behandelt werden müsse.
Ralf M. hatte sich einen Tag nach der Tat am 5. Oktober der Polizei gestellt. Die Beamten, mit denen er zuerst gesprochen hatte, sagten gestern aus, Ralf M. habe kaum eine Gefühlsregung gezeigt, als er ihnen von dem Mord berichtet habe. »Da war kein Zeichen von Reue erkennbar«, erklärte ein Beamter.
Am Montag wird der Gutachter gehört, der dem Angeklagten in seiner vorläufigen, schriftlichen Expertise eine schwere Abartigkeit bescheinigt hat. Der Psychiater geht davon aus, dass Ralf M. im Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit gemordet hat. Sein Anwalt erklärte, Ralf M. habe seit 15 Jahren Kannibalismusphantasien gehabt und »Blut geleckt«, nachdem 2003 der Fall des Kannibalen Armin Meiwes bekanntgeworden sei.
Schon am Dienstag soll das Urteil gesprochen werden.

Artikel vom 04.05.2005