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Nur in Lübbecke wird das Bier
noch mit Pferdewagen geliefert

Reinhold Hahler lenkt seit 15 Jahren das Gespann der Brauerei Barre

Von Christian Althoff und
Jörn Hannemann (Fotos)
Lübbecke (WB). Pferde sind sein Leben. Auf seinem Hof in Stemwede züchtet Reinhold Hahler (58) westfälische Warmblüter, samstags und sonntags ist er als Preisrichter bei Reitturnieren im Einsatz, und an vier Tagen in der Woche spannt er für die Lübbecker Privatbrauerei Barre an - als letzter Bierkutscher Deutschlands.
Reinhold Hahler mit den Kaltblütern Heros (4) und Nepomuk (7): Viermal in der Woche fahren die drei Bier aus. Wenn's in die enge Altstadt geht, wird Hahler von seinem Kollegen Kurt Mansfeld (53) unterstützt.Das Geschirr wird regelmäßig gewienert.

»Ich bin bei Wind und Wetter unterwegs«, erzählt der Nebenerwerbslandwirt, während er sein acht Meter langes Gespann durch die Altstadt von Lübbecke steuert und ab und zu »Brrr!«, »Trab!« und »Hüh!« ruft. Das Klappern der Hufe hallt in den engen Straßen, spezielle Nägel unter den Eisen verhindern, dass die Kaltbluthengste Nepomuk und Heros auf dem Pflaster ausrutschen. Elf Kneipen muss Reinhold Hahler heute beliefern. »Ich habe Fassbier hinten drauf und Bierdeckel, manchmal liefere ich auch Gläser aus - eben alles, was die Wirte brauchen.«
Reinhold Hahlers Arbeitstag hatte um 7 Uhr begonnen. Auf dem Brauereigelände hatte er die Pferde mit Heu und Stroh gefürrert und jedem Tier fünf Kilogramm Kraftfutter gegeben, das der Landwirt seit Jahren selber mischt. »Deshalb glänzt ihr Fell auch so schön.« Dann hatte der Kutscher Nepomuk und Heros gebürstet, ihnen ihr schweres Geschirr umgelegt und zum Schluss die Hufe kontrolliert: »Alle acht Wochen gibt es neue Eisen. Der Schmied bringt extra zwei Helfer mit, weil man die Hufe der eine Tonne schweren Tiere nur mit vereinten Kräften halten kann.« Um 9 Uhr war das vollbeladene Gespann schließlich vom Hof der Brauerei gerollt, die am Hang des Wiehengebirges liegt. »Es geht bergab in die Stadt, und ich muss die ganze Zeit auf die Bremse treten«, erzählt der 58-Jährige.
Vor 160 Jahren hatte die Privatbrauerei Barre damit begonnen, ihr Bier mit Pferdewagen auszuliefern. Heute ist nur noch dieses eine Gespann im Einsatz, aber das soll auch in Zukunft rollen: »Irgendwie gehören wir in Lübbecke zum Stadtbild, und an dieser Tradition hält die Brauerei fest«, erzählt der Kutscher, der das Deutsche Fahrabzeichen besitzt und seit 15 Jahren für Barre auf dem Bock hockt. Wenn er stoppt und ein Fass von der Ladefläche wuchtet, bleiben Kinder stehen und fragen ihn nach seinen Pferden. »Für Touristen, die mich ansprechen, habe ich sogar Postkarten dabei, die das Gespann zeigen«, berichtet Reinhold Hahler. Er erinnert sich mit Wehmut an die Lübbeckerin Erna Sudbrack, die vor einigen Jahren 84-jährig gestorben war: »Sie liebte unsere Pferde über alles. Wenn wir durch die Stadt fuhren, wartete sie schon mit Äpfeln oder Möhren am Straßenrand, und wenn wir uns verspäteten, rief sie besorgt in der Brauerei an.« Einmal habe ein Pferd versehentlich beim Biss in eine Möhre auch einen Finger der alten Frau erwischt und gebrochen. »Als ich mit dem Pferd schimpfte, wies Erna Sudbrack mich zurecht und erklärte, das Tier treffe ja wohl keine Schuld. So war die Frau.«
Reinhold Hahler hatte die beiden Pferde im Auftrag der Brauerei gekauft, als sie zweieinhalb Jahre alt waren. »Sie sind gutmütig, stark und hellwach«, erzählt er. Drei Monate hatte der Pferdefachmann die Kaltblüter ausgebildet, bevor sie zum ersten Mal den Bierwagen durch die Stadt ziehen durften. Wenn Reinhold Hahler in sieben Jahren in den Ruhestand gehen wird, will er Nepomuk mitnehmen und ihm auf seinem Hof das Gnadenbrot geben: »Er ist dann 15 Jahre alt und hat genug geleistet.« Der drei Jahre jüngere Heros muss sich dann an einen neuen Partner gewöhnen.

Artikel vom 03.05.2005