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Leitartikel
Gefallsucht auch am 8. Mai

Erziehung
wirkt arg
viele Wunder


Von Rolf Dressler
Nehmen wir sie - im Vorgriff auf eine noch ferne Zukunft - doch einfach schon heute einmal als tatsächlich existierend: jene verklärend schöne »eine Welt«, die allenthalben so vielfarbig beschrieben und herzensinnig beschworen wird.
Denn gäbe es sie wirklich, böte sich dann nicht gerade der 8. Mai 2005 für ein offenes und grundredliches Besinnen aller Aufrichtigen und Wohlmeinenden an - und zwar gleichviel, welches Schuldmaß ihre Altvorderen vor der Geschichte unauslöschlich auf sich geladen haben mögen?
Leider nur gibt es keinerlei hoffnungverheißendes Anzeichen dafür, dass außer »den« Deutschen auch jetzt wieder auch nur einem einzigen anderen Volk nennenswerte öffentliche Reue- und Buße-Bekenntnisse abverlangt werden. Nicht von ungefähr sind Deutschland und sein politisches Führungspersonal unangefochtene Weltmeister in der Paradedisziplin »internationale Gefallsucht«. Denn man möchte möglichst allen ringsumher zu Gefallen sein und stellt dies in Worten, Gesten und vor allem in überaus freigebigen materiellen Taten jederzeit gern unter Beweis.
So betrachtet hat sich die denk- würdig prophetische Ansage des weltbekannten amerikanischen Publizisten Walter Lippmann mittlerweile bewahrheitet: Wenn die Kriegspropaganda der gegen Hitler verbündeten alliierten Siegermächte des Zweiten Weltkrieges Eingang in die Geschichtsbücher gefunden habe und von den nachfolgenden Generationen auch geglaubt werd, könne die Umerziehung namentlich der Deutschen als gelungen angesehen werden ...
Nicht allein hier liegt die pikante Dauerfrage nahe, warum denn wohl die offenkundig hochbrisanten Vorkriegs- und Weltkrieg-2-Archive insbesondere der US- Amerikaner und der Briten noch bis mindestens 2017 streng unter Verschluss gehalten werden sollen. Solange die Verschleierungs- und Deutungshoheit über die historische Wahrheit exklusiv bei den Siegern liegt, muss zwangsläufig Argwohn blühen - und der Verdacht, dass die Geschichte zu Lasten zuvorderst Deutschlands und der Deutschen verbogen werden soll.
Aber mehr noch:
Donnerblitzartig gegeißelt wird, wer auch nur eines der ungezählten anderen schändlichen Großverbrechen der Geschichte - zutreffend - als für sich genommen gleichfalls »singulär«, also einzigartig zu benennen wagt. Wie zum Beispiel diejenigen der englischen, spanischen, französischen, holländischen, belgischen und portugiesischen Eroberer und Kolonialherrscher an zig Dutzend Millionen Ureinwohnern in Nord- und Südamerika, Afrika, Vorder- und Hinterasien etc.
Auch daran einmal bescheiden zu erinnern, empfiehlt sich nicht. Besser beschränkt man sich daher wohl gerade am 8. Mai tun- lichst auf die gefallsüchtige deutsche Selbstkasteiung. Denn über andere haben schon gar nicht ausgerechnet wir Deutsche zu rechten und zu richten.
Erziehung wirkt Wunder ...

Artikel vom 05.05.2005