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600 Arztpraxen stehen leer

Mediziner warnen: Versorgung der Patienten verschlechtert sich

Von Ernst-Wilhelm Pape
Bielefeld (WB). Dramatischer Ärztemangel in Deutschland: Bis zum Jahre 2008 müssen nach Angaben der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) in Krankenhäusern und Praxen 28 800 Arztstellen neu besetzt werden. Bis zum Jahre 2013 erhöhe sich diese Zahl auf 62 000.

Derzeit seien 600 Praxen nicht besetzt, die für die Versorgung der Patienten notwendig seien, sagte KBV-Sprecher Dr. Roland Stahl dieser Zeitung. Bis zum Jahr 2008 gebe es bei den Praxen ein jährlichen Ersatzbedarf von 2200 Ärzten. Diese Zahl werde sich 2009 auf 2600 erhöhen.
Der Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe in Münster, Andreas Daniel, hat bei den Hausärzten eine regelrechte Landflucht festgestellt. Im ländlichen Bereich, wie in den Kreisen Höxter und Herford sowie in Meinerzhagen (Märkischer Kreis) und in Hopsten bei Rheine, gebe es Schwierigkeiten, frei werdende Praxen wieder zu besetzen. In Hopsten zeichne sich ab, dass der Notfalldienst nicht mehr aufrecht erhalten werden könne.
Für den Krankenhausbereich betonte Gerald Oestreich, Geschäftsführer der Kliniken Minden, Lübbecke und Rahden, dass vor allem kleine Häuser in Ostwestfalen-Lippe Schwierigkeiten hätten, qualifiziertes Personal wie Gynäkologen und Anästhesisten (Narkosefacharzt) zu bekommen. Oestreich: »In Zukunft müssten sich die Notfallambulanzen benachbarter Kliniken beim Wochenenddienst abwechseln.«
Gründe für den Ärztemangel sind nach Angaben von Stahl eine überalterte Ärzteschaft - allein in den neuen Bundesländern gehen in nächster Zeit ein Drittel der Hausärzte in den Ruhestand - und der fehlende Berufsnachwuchs. Wenn keine Gegenmaßnahmen ergriffen würden, werde in drei bis fünf Jahren die hausärztliche Versorgung in den neuen Bundesländern zusammenbrechen und sich in den alten Ländern deutlich verschlechtern.
Vor allem auf dem Lande werde es keine Hausärzte mehr geben. Die Patienten müssten weite Wege bis zur nächsten Praxis in Kauf nehmen oder sich bei leichten Erkrankungen im Krankenhaus behandeln lassen. Dies wiederum treibe die Kosten in die Höhe.
Aufgrund des Nachwuchsmangels könnten in den alten Bundesländern jede zweite Klinik und in den neuen Ländern fast vier Fünftel aller Häuser offene Stellen nicht besetzen. In den Kliniken gebe es bundesweit 5000 freie Arztstellen. Aufgrund der EU-Osterweiterung würden gerade von Kliniken immer mehr Ärzte aus Osteuropa angeworben, um die Versorgung sicherzustellen. Vor allem Ärzte aus Polen, Tschechien und Russland seien in deutschen Klinik bereits tätig.
Stahl forderte eine Art Mittelstandsprogramm für junge Ärzte die eine Praxis betreiben wollen. Die Kassenärztlichen Vereinigungen hätten zum Beispiel die Möglichkeit, eine Umsatzgarantie zu gewähren.
Ferner könnten Länder und Kommunen den Ärzten verbilligte Kredite einräumen. Außerdem plane die KBV für den medizinischen Nachwuchs ein neues spezielles Ärzteblatt. Stahl: »Wir müssen für den Arztberuf in Deutschland intensiver werben.«

Artikel vom 29.04.2005