29.04.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Menschenwürde oberstes Gebot in Pflegeheimen

Frau gestürzt: Gericht weist Krankenkassen-Klage ab

Karlsruhe (dpa). Die Menschenwürde hat Vorrang vor Sicherheit in Alten- und Pflegeheimen. So dürfen pflegebedürftige Menschen nicht generell im Bett festgeschnallt werden, um Stürzen vorzubeugen. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) in einem gestern veröffentlichten Urteil von Grundsatzbedeutung entschieden.

Der BGH lehnte es ab, Pflegeheimen allzu strenge Auflagen für die Sicherheit ihrer Bewohner zu machen. Zwar habe der Betreiber »Obhutspflichten« zum Schutz von Pflegebedürftigen. »Diese Pflichten sind allerdings begrenzt auf die in Pflegeheimen üblichen Maßnahmen, die mit einem vernünftigen finanziellen und personellen Aufwand realisierbar sind«, heißt es in dem Urteil.
Das Karlsruher Gericht wies die Regressforderung der Berliner AOK für die Behandlung einer bei einem Sturz verletzten Heimbewohnerin ab. Die Krankenkasse hatte den Träger eines Altenpflegeheims auf Ersatz der Krankenhauskosten verklagt, weil eine 1912 geborene gebrechliche und zeitweise verwirrte Heimbewohnerin im Juni 2001 aus ihrem Bett gefallen war und sich dabei einen Oberschenkelhalsbruch zugezogen hatte.
Die AOK warf dem Heim vor, nicht genügend zum Schutz der zuvor schon mehrfach gestürzten Frau unternommen zu haben. Die Rentnerin hätte im Bett fixiert oder zumindest durch Hochfahren des Bettgitters vor Stürzen geschützt werden müssen, meinte die AOK. Zudem hätte das Verletzungsrisiko durch eine Hüftschutzhose verringert werden können.
Der III. Zivilsenat bekräftigte zwar die grundsätzliche Pflicht von Heimbetreibern, alte und gebrechliche Menschen vor Unfallgefahren zu schützen. Diese Verpflichtung bestehe allerdings nur, soweit solche Schutzmaßnahmen dem Pflegepersonal wie auch den Heimbewohnern zumutbar seien, »wobei insbesondere auch die Würde und die Selbstständigkeit der Bewohner zu wahren ist«.
In der mündlichen Verhandlung Anfang April hatte der Senatsvorsitzende Wolfgang Schlick die grundsätzliche Bedeutung des Verfahrens betont, weil die Kassen wegen fehlender Gelder vermehrt versuchten, Regress bei den Pflegeheimen zu nehmen. Nach Auskunft des AOK-Bundesverbandes sind zahlreiche ähnliche Klagen anhängig.
Der BGH stellte klar, dass die klagende Krankenkasse die Voraussetzungen ihres Anspruchs beweisen müsse - eine »Beweislastumkehr« zu Lasten des Heims komme nicht in Betracht. Dieser Nachweis sei der AOK in diesem Fall nicht gelungen. Allein aus der Tatsache, dass es innerhalb des Heims zu einem Sturz gekommen sei, könne nicht auf eine »schuldhafte Pflichtverletzung« geschlossen werden.
Az: III ZR 399/04

Artikel vom 29.04.2005