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Alte Möbel stehen immer für Emotionen

Antiquitätenprofi Nikolaus Nadrag kam schon mit 18 Jahren aus Kärnten nach Bielefeld

Von Michael Diekmann
und Hans-Werner Büscher (Foto)
Bielefeld (WB). Der alteingesessene Handwerksbetrieb, der Metallbauer, der weltweit exportiert, das exklusive Fachgeschäft in der City: Der Mittelstand ist Rückgrat der Wirtschaft und Garant für die Zukunft. Das WESTFALEN-BLATT stellt in einer Serie erfolgreiche Mittelständler vor. Heute: Kunst- und Antiquitätenhändler Nikolaus Nadrag.

Das kleine Ladengeschäft hat eine große Ausstrahlung. Jedes der gezeigten Stücke, die alle zusammen das Bild einer intakten Wohnwelt vermitteln, hat seine eigene Geschichte: Der Sekretär aus dem Empire, der Spieltisch mit dem versenkten Backgammon-Brett und den Kerzenleuchtern oder die konische Kommode aus Leipzig, die ein ehrgeiziger Handwerksmeister um 1830 gefertigt hat. Inmitten der historischen Schätze sitzt Nikolaus Nadrag am Laptop und wertet seine E-Mails aus. Kunden weit über Deutschland hinaus erfordern von dem Antiquitätenhändler am Waldhof hochmoderne Kommunikationsmittel. Auch wenn Nadrag handwerklich auf die traditionsreich überlieferten Arbeitsweisen setzt. »Mit Geduld und Spucke bekommt man die Oberfläche am besten bearbeitet«, verrät der Fachmann, der in der Welt zwischen Verkauf am Waldhof und stilechter Werkstatt mit zwei Mitarbeitern in der Spindelstraße seinen Traumberuf gefunden hat.
Geboren im österreichischen Klagenfurt, hatte dem heute 52-jährigen Antiquitätenprofi bereits Mutter Anna die Liebe zu alzten Möbeln und Schätzen der Heimat mit in die Wiege gelegt. Nach Handelsschule und Lehre im Steuerbüro wartete der junge Kärtner nicht lange auf Angebote aus der großen weiten Welt, sondern bereiste sie selbst und kam bereits mit 18 Jahren nach Bielefeld. »Eigentlich sollten es nur drei Jahre Wanderschaft durch Deutschland sein«, erinnert sich Nadrag, es wurden 35 Jahre daraus. Und statt München oder Köln wurde es Bielefeld.
Der junge Mann tat in Bielefeld, was die Gesellschaft heute mehr denn je erwartet, damit es wirtschaftlich aufwärts geht - er unternahm etwas, mit dem sprichwörtlichen Sprung ins kalte Wasser. Aus dem kleinen ersten Geschäft wuchs er schnell heraus, seine heutige Geschäftsimmobilie hat er 1999 erworben. Der richtige Schritt für jemanden, der am Teutoburger Wald heimisch geworden und mit einer Jöllenbeckerin verheiratet ist. Nadrag: »Mein Zuhause ist Bielefeld, meine Heimat Kärnten. Dreimal im Jahr fahre ich hin.« Für viele Kunden ist der Profi, der ganze Nachlässe aufkauft und Schätze vergangener Jahre an die Oberfläche fördert, ohnehin mehr Westfale, der akzentfrei bielefeldert: »Meinen Heimatdialekt hebe ich mir für Daheim auf - und für österreichische Kunden in meinem Geschäft.«
In der Altstadt ist Nadrag nicht nur eine echte Bereicherung. Der Mann, für den Emotion vor Kalkulation geht, sieht auch die aktuelle Entwicklung positiv. Die Lutteroffenlegung hat 80 Prozent mehr Laufkundschaft gebracht: »Jetzt wird der Merkurbrunnen weitere Attraktivität bringen.« Zudem hat der Kärtner längst die Phase hinter sich, mit dem man in Ostwestfalens Oberzentrum erst einmal zwei Säcke Salz pro Bekanntschaft essen muss: »Mit jedem Jahr hier wird man etablierter.«
Als Teilnehmer an Auktionen ist Nikolaus Nadrag in ganz Europa tätig. Der Umgang mit heimischen Einzelstücken offenbart dabei nicht selten, welch hohen Stellenwert Bielefelds Bürgertum in vergangenen Epochen bereits bekleidet hat.
Wer Nadrag nach dem Erfolgsrezept fragt, erfährt von der Intuition, die man unbedingt mitbringen muss. Interesse an Geschichte und Kultur, an Gesellschaft und den unterschiedlichsten Arten der Holzbearbeitung und Aufarbeitung braucht man, dazu ein hohes Maß an Fingerspitzengefühl. Der große Kundenkreis, über den mit einem gesunden Maß an Diskretion nicht gesprochen wird, ist Nadrag zudem stets gegenwärtig: »Wenn ich ein schönes Stück sehe, weiß ich oft schon, wer es kauft.« Die meisten Kunden verlassen sich immer wieder auf das Urteil des Experten. Und der sieht sich oft mit einer Erbengeneration befasst, die sich mit den Nachlässen aus 50 Jahren deutschen Nachkriegskonsum beschäftigen müssen. Und weil viele mit einem bestimmten Lebensumfeld immer auch ein bestimmtes Einrichtungsgefühl verbinden, ist Nadrag auch dann gefragt, wenn jemand sein Leben neu ordnet, neue Prioritäten setzt oder sich in den eigenen vier Wänden neu einrichten möchte. Alte Möbel stehen irgendwie immer für Emotionen.

Artikel vom 04.05.2005