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Leitartikel
Zirkusarena Deutschland

Viele
bunte Vögel
flattern


Von Rolf Dressler
Mehr und mehr ähnelt das po- litische Treiben und Quertreiben im rot-grün getünchten Deutschland auch einer Zirkusnummer. Und gerade diese Woche bescherte uns noch ganz besondere Hochtief-Auftritte und andere Absonderlichkeiten. Amüsiertes Gelächter lösten sie freilich nicht aus. Es sei denn, der eine oder ande- re genervte Bürger benutzte das eigene Zwerchfell als letzten Blitzableiter, um seinem tiefsitzenden Frust ein Ventil zu geben.
Ronald Reagan - wir erinnern uns seiner geifernden Gegner auch unter Deutschlands Roten und Grünen - wurde einst schäbig verhöhnt als »drittklassiger Ex-Hollywood-Mime«. Heute aber trumpfen regierende Häuptlinge wie der SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder und sein Grünen-Vize Joseph alias Joschka Fischer auf wie leibhaftige, selbsternannte Staatsschauspieler.
Letzterer schoss im Visa-Untersuchungsausschuss buchstäblich den Vogel ab. Chamäleongleich, als Naturtalent sozusagen, gab er mal den abgehobenen Altmeister des Welt-Diplomatie-Parketts, mal den gedächtnisschwachen Kannitverstahn der Marke »Ich bin klein, mein Herz ist rein«. Dann wieder kehrte Fischer den Arroganzling heraus, dem schon gar nicht die braven Befrager je das Wasser reichen können (»Schreiben Sie doch einfach rein: Fischer ist schuld!«). Flugs wechselte er auch ins Staatsmännische und bei Bedarf sogar wohldosiert ins Cäsarenhafte, wobei die Fernsehkameras immer wieder auch die gedankenschwer gefurchte Stirn und die telegen wohlgeformte Haarpracht des Befragten ins rechte Licht rückten.
Kurzum, hier inszenierte sich nicht nur schlicht ein Regierungsmitglied. Nein, hier erbrachte der »Gottvater der Grünen«, für jedermann sichtbar, den Nachweis da- für, dass er sich nach eigener Ein- schätzung in der Polit-Welt-Champions League angesiedelt sehen möchte. Allerwelts-Minister des Auswärtigen? Damit gibt sich ein Joseph Fischer nicht zufrieden - und Joschka F. schon gar nicht. Also erhob die »Süddeutsche Zeitung« ihn nach der TV-Show im Visa-Skandal-Ausschuss denn auch in den olympischen Rang eines »Ministers des Äußersten«.
Vor Jahren einmal fragte Jan Philipp Reemtsma, Sozialphilosoph und (Anti-)- Wehrmachtsausstellungsorganisator herrlich verquast sich und die Mitwelt, ob der Mensch eines schönen Tages nicht doch noch »ein Gattungsselbstverständnis gewinnen« könnte, das es ihm ermögliche, den Versuchungen von Selbstheiligsprechung und Größenkoller zu widerstehen. Und in seinen wundersamen Prosa-Miniaturen von 1934 erzählt der russische Dichter Daniil Charms »die Geschichte von diesem Krukuk«, das freilich nicht eigentlich Kukruk heißt und auch nicht Kukuruk, Kurjakruk, Kikrikakuk, Kukukrakuk oder Kikrikakukikuk. Am Ende bekennt Charms frei- mütig-schelmisch, er habe »vergessen, wie dieser Vogel heißt. Aber wenn ich es nicht vergessen hätte, würde ich euch erzählen von diesem Kikrikukukrekuk...«
Auch durch Deutschland anno 2005 flattern viele »bunte Vögel«.

Artikel vom 30.04.2005