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Traum vom Aufschwung ausgeträumt

Nur noch 1 Prozent Wachstum

Von Reinhard Brockmann
Bielefeld/Berlin (WB). Die Bundesregierung hat sich am Freitag von ihren Konjunkturträumen verabschiedet. Jetzt soll 2006 alles besser werden.

Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) senkte die Wachstumsprognose von 1,6 auf 1,0 Prozent. Finanzminister Hans Eichel hatte offenbar 0,8 als Wert bevorzugt, weil Finanzplanungen dann realistischer ausfielen. Für 2006 verspricht Clement 1,6 Prozent Wirtschaftswachstum.
Mit der Korrektur bewegt sich die Regierungsprognose am oberen Rand der Vorhersagen von Instituten, Wirtschaft und Banken. Der Rückschlag wird neue Milliardenlöcher in Bundesetat und Sozialkassen reißen. Vor allem die Rentenversicherer sind alarmiert.
»Nicht die Stelle hinter dem Komma, allein entscheidend ist: sozialdemokratischer Kapitalismus führt zu Wachstumsschwäche.« Das sagte der Obmann der CDU/CSU-Bundestagsfraktion im Haushaltsausschuss, Steffen Kampeter aus Minden. Fraktionskollege Reinhard Göhner ergänzte: »Wir haben kein Konjunktur-, sondern ein Strukturproblem.« Seit drei Jahren schwebe Deutschland zwischen Rezession und Stagnation und sei Schlusslicht in Europa. Ständiges Gesundbeten helfe nicht weiter. Alle europäischen Staaten und alle anderen Industrienationen der Welt seien in Sachen Wachstum Deutschland weit voraus, sagte Göhner (CDU).
Auch der Bielefelder Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses, Rainer Wend (SPD) räumte ein, dass der Wert 1,0 Prozent »den oberen Rand« seiner Einschätzung markiere. Die Rücknahme der Prognose sei realistisch, nachdem die Rohstoffpreise anzogen und die Binnenkonjunktur sich nicht wie erhofft entwickelte habe. Vor allem das verschlechterte Verhältnis von US-Dollar und Euro belaste Deutschland mehr als andere, weil es stärker von Rohstoffen abhängig sei.
Wend sagte weiter: »Deutschland leidet unter fehlender Binnenkonjunktur und daran, dass die Dividenden der großen Börsen-notierten Unternehmen um 40 Prozent zugenommen haben, während die Investitionen um 20 Prozent zurückgefahren wurden.« Die Wachstumserwartung von 1,6 Prozent für 2006 sei richtig, weil sinkende Ölpreise zu erwarten wären und Erneuerungsinvestitionen der Industrie überfällig seien.
»Es ist wie immer«, zeigte sich die FDP-Bundestagsabgeordnete Gudrun Kopp aus Lippe sichtlich verärgert, »Clement nimmt den Mund stets voll, aber Reden und Handeln klaffen auseinander.« Sie attestierte ihm dreifache »Fehlanzeige« bei seinen Projekten Bürokratieabbau, Wende auf dem Arbeitsmarkt und Rahmenbedingungen für Wirtschaftswachstum.
Als »Opium für das Wahlvolk« bezeichnete sie die Regierungsvorhaben Mindestlöhne, Entsendegesetz für alle Branchen und die pauschale Kapitalismusschelte. Das diene allein dazu, »über die katastrophale Wirtschaftslage wegzutäuschen«. Kopp: »Ohne nennenswertes Wirtschaftswachstum wird es keine neuen Jobs geben.« In OWL seien 2004 wiederum 801 Firmen in die Insolvenz gegangen und mit ihnen 25 000 Arbeitsplätze. Seite 4: Kommentar

Artikel vom 30.04.2005