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Leitartikel
Ein Jahr EU-Erweiterung

Objektiv sieht
es besser aus
als subjektiv


Von Dirk Schröder
Der 1. Mai 2004 war und bleibt ein historischer Tag. Zehn neue Staaten traten der Europäischen Union bei - die größte Erweiterung in der Geschichte der EU. Nach der Wiedervereinigung Deutschlands nunmehr die Wiedereinigung Europas. Mit der Erweiterung endete die jahrzehntelange schmerzliche Teilung der europäischen Familie. Entsprechend groß war natürlich die Euphorie vor allem bei den neuen Mitgliedern.
Auch in Deutschland herrschte die Freude vor, doch konnten selbst an diesem Tag die Ängste vor der Erweiterung nicht aus den Köpfen vieler Bundesbürger vertrieben werden.
Und wie sieht die Bilanz nach einem Jahr aus? Objektiv gesehen ist die Erweiterung besser gelaufen, als dies vielfach erwartet worden ist - wir haben im Alltag einfach kaum etwas davon bemerkt. Die Deutschen haben aber dennoch noch immer ein gespaltenes Verhältnis zu der Osterweiterung. Das hat auch eine Umfrage in diesen Tagen belegt. Denn subjektiv gesehen wird die Aufnahme der zehn Länder in die Union für eine Reihe von Problemen in Deutschland verantwortlich gemacht.
Dabei haben die polnischen Arbeiter, die bei Razzien in deutschen Schlachthöfen erwischt werden, nichts mit der Eweiterung zu tun. Das ist schlicht ein unrechtmäßiges Verhalten.
Und auch die umstrittene Dienstleistungsrichtlinie hat nur indirekt etwas mit der Erweiterung zu tun. Die Richtlinie soll es Dienstleistern wie Handwerkern oder Architekten ermöglichen, ohne bürokratische Hemmnisse europaweit zu arbeiten und damit den 1993 gegründeten Binnenmarkt vollenden. Dagegen ist nichts zu sagen. Der Mangel: Die Autoren haben es versäumt, ein differenziertes und flexibles Regelwerk vorzulegen, das wird nun nachgeholt.
Einem möglichen Lohn-, und Sozial- und Umweltdumping muss ein Riegel vorgeschoben werden. Die Öffnung des europäischen Marktes für Dienstleistungen bietet andererseits aber gerade deutschen Unternehmen große Chancen. Heute sieht es so aus: Das sehr liberale deutsche Gewerberecht macht es ausländischen Dienstleistern einfach, bei uns tätig zu werden. Umgekehrt bremsen viele andere EU-Staaten deutsche Unternehmen mit hohen bürokratischen Hürden. Sorgen sind berechtigt, aber bitte keine übertriebenen Ängste schüren.
Die nach wie vor hohe Arbeitslosigkeit von nahezu fünf Millionen in Deutschland ist jedenfalls nicht die Folge davon, dass scharenweise billige ausländische Arbeitskräfte in Land geströmt sind - das ist nicht geschehen. Und das geringste Wachstum in Europa sowie die zweithöchste Verschuldung - das alles sind keine Auswirkungen der Erweiterung.
Die Diskussion ist im vergangenen Jahr nicht immer ehrlich geführt worden. Manche Sorgen sind natürlich berechtigt, doch sollten auch die Chancen nicht schlecht geredet werden. Insgesamt ist die Bilanz positiv.

Artikel vom 29.04.2005