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Wenn die Brille nicht mehr ausreicht

Low Vision-Beratung: Neue Perspektiven für Menschen mit nachlassender Sehkraft

Von Daniela Rahn
Paderborn-Wewer (WB). Elena Lang ist irritiert. Seit einigen Wochen wirkt ihre Mutter verändert. Die 82-Jährige, die sonst so penibel auf ihr Äußeres bedacht war, trägt neuerdings Kleidung, die irgendwie schmuddelig aussieht. Außerdem hat die ältere Dame auffallend viele Hautabschürfungen und blaue Flecken an Armen und Beinen. Was ist bloß passiert?

Elena Lang sucht Hilfe in einem vertraulichen Gespräch mit ihrem Hausarzt. Der reagiert sofort und rät der besorgten Tochter, gemeinsam mit ihrer Mutter einen Augenarzt aufzusuchen.
Diagnose: »altersbedingte Makuladegeneration«. Langsam haben sich Gesichtsfeldeinschränkungen entwickelt und dafür gesorgt, dass sie sich in ihrem Umfeld nicht mehr so frei und unbedarft bewegen kann wie früher. Sie will nicht, dass ihre Tochter sich Sorgen um sie macht. Darum hat sie Elena nichts von der dramatischen Verschlechterung ihrer Sehkraft erzählt.
An der Diagnose gibt es nicht viel zu rütteln. Zusammen mit dem Grünen und dem Grauen Star sowie der diabetischen Retinopathie gehört die Makuladegeneration (AMD) zu den häufigsten Augenkrankheiten in Deutschland, die bei den Betroffenen zu teilweise massiven Sehbehinderungen führen.
Rund 85 Prozent der Sehbehinderten sind älter als 60 Jahre. Und vielen kann aufgrund ihrer Diagnose weder eine Brille noch sonst ein schulmedizinischer Eingriff helfen, um ihre Sehfähigkeit zu verbessern.
Das heißt jedoch nicht, dass man gar nichts tun kann. Im Gegenteil: Dort, wo die Lage im wahrsten Wortsinn aussichtslos zu sein scheint, beginnt die Arbeit von Annegret Speicher. Die Augenoptikerin, die eine Weiterbildung zur Low Vision-Beraterin (low vision = wenig sehen) gemacht hat, geht gemeinsam mit den Betroffenen auf die Suche nach Hilfsmitteln, um Lebensqualität in den Alltag zurückzubringen, die durch eine Sehbehinderung oftmals verloren gegangen ist.
»Die Menschen verstecken sich häufig mit ihrem Problem und könnten doch bei frühzeitiger Aufklärung viel länger mit Freude am Leben teilnehmen«, ermutigt Annegret Speicher all jene, bei denen eine Brille allein nicht mehr ausreicht. »Es beginnt mit dem richtigen Licht«, berichtet die Low Vision-Fachfrau. »Es gibt unterschiedliche Lichtfarben, die durch das Wegfiltern einzelner Farbbestandteile entstehen und gegenüber dem ÝnormalenÜ Tageslicht individuell als besonders vorteilhaft empfunden werden.«
Doch das ist nur der Anfang: Lupen und Lesegläser, Hyperokulare oder Monokulare, Fernrohrlupenbrillen oder Videolupen ermöglichen vielen Sehbehinderten etwas, das sie schon verloren glaubten - das Lesen, zum Beispiel der liebgewonnenen Tageszeitung. Auch Fernsehen ist mit einem vergrößernden TV-Screen, der einfach vor die Mattscheibe gesetzt wird, wieder möglich.
Andere Alltagshürden werden mit kleinen Helfern wie der sprechenden Armbanduhr oder dem Fieberthermometer genommen, das die Temperatur selbstständig ansagt. Auch auf den ersten Blick simple Hilfsmittel wie Schreibschablonen oder Aufkleber mit großen Buchstaben, die man auf die Computer-Tastatur kleben kann, haben große Wirkung, weiß Annegret Speicher.
Das Angebot der Low Vision-Beratung schließt genau die Lücke, die Betroffene vorfinden, wenn sie mit dem Problem nachlassender Sehkraft konfrontiert sind, aber nicht wissen, wo sie kompetente Beratung finden. Angefangen bei einem ersten, ausführlichen Gepräch, bis hin zur Klärung von Rechtsfragen und Rehabilitationsmöglichkeiten und schließlich der Versorgung mit den ausgewählten Hilfsmitteln bietet die Low Vision-Beratung Hilfe aus einer Hand.
Aufgrund der demografischen Entwicklung wird diese Thematik zukünftig weiter an Bedeutung gewinnen. Davon ist Annegret Speicher überzeugt. Dafür spricht unter anderem das große Interesse verschiedener Pflegeschulen, in denen die Low Vision-Fachfrau Unterrichtseinheiten in diesem Bereich anbietet. Annegret Speicher: »Es ist wichtig, die jungen Menschen für dieses Thema zu sensibilisieren. Dann können sie den Betroffenen im Alltag mit mehr Verständnis begegnen.«
Weitere Informationen zu den Sehhilfen gibt es unter der Rufnummer 05251/91507 und bei Augenoptik Tölle beim real-Markt in Paderborn unter Telefon 05251/66055.

Artikel vom 01.07.2005