03.05.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

»Nicht ein jeder sollte studieren«

Ist es erstrebenswert, Uni-Professor zu werden? »Mein vierjähriger Sohn sollte gerade im Kindergarten erklären, was er später werden wollte. Ich hätte auf Fußballer oder Rennfahrer oder Polizist getippt, aber er hat ÝUni-ProfessorÜ gesagt«, freut sich Prof. Dr. Bernhard Jussen. Er ist als Historiker spezialisiert auf das Späte Mittelalter und die Frühe Neuzeit (Schwerpunkt Regionalgeschichte) -Êund hat sich den Fragen von Laura-Lena Förster gestellt.

Mit welchem Verkehrsmittel kommen Sie zur Bielefelder Universität? Jussen: Meistens fahre ich mit dem Fahrrad durch den Wald am ZIF vorbei. Das ist zwar steil, aber macht Spass. Wenn das Wetter schlecht ist, komme ich mit dem Taxi.

Was ist Ihr Lieblingsgericht in der Mensa? Jussen: Wenn die Mensa und das Westend nicht mehr offen sind (was ja sehr früh der Fall ist), gibt es prakisch nichts einigermaßen Gesundes mehr zu essen, dann wird es schwierig. Die Bouletten in der Cafeteria sind gut, aber nichts für jeden Tag. In der Mensa begeistert mich wenig. Besonders den Couscous-Salat esse ich aber gerne.

Was haben Sie vor zwei Jahrzehnten auf die Frage geantwortet, wo Sie sich in 20 Jahren sehen? Jussen: Diese Frage ist erst in den letzten Jahren ein Standard der Laufbahnplanung geworden. Ich wäre vermutlich nicht auf die Antwort »Auf einer Professur« gekommen. Mir hat die Frage nie jemand gestellt. Vor 20 Jahren hatte ich mein Lehramtsstudium fertig und mich entschieden, nicht in die Schule zu gehen, sondern es an der Uni zu versuchen. Ich wollte mit meiner Arbeit eine Wirkung erzielen und habe gedacht, dass die Ausbildung von Multiplikatoren mehr an Wirkung bringt als der Weg in die Schule.

Was machen Sie lieber: lehren oder forschen? Jussen: Ich mache beides sehr gerne, bei der Lehre ist das Feedback viel direkter. In der Forschung lebt man immer mit der Ungewissheit und bekommt erst mit sehr großer Verzögerung - oder auch nie - eine Bestätigung.

Warum sollten junge Menschen studieren? Jussen: Wer motiviert ist, sollte studieren, um sich selbst in seinen Begabungen und Neigungen weiterzuentwickeln, um daraus einen soliden Le-bensunterhalt zu machen in einem Feld, das jenseits des Lebensunterhalts als eine persönliche Bereicherung erlebt wird. Aber junge Leute sollten nicht unbedingt studieren. Der tertiäre Ausbildungssektor bietet neben der Uni genug, das manchem jungen Menschen besser täte als ein Studium.
Unsere Abteilung Geschichtswissenschaft denkt gerade darüber nach, die Zulassung zu beschränken. Wir haben bei einem gar nicht kleinen Teil der Studierenden den Eindruck, dass die Motivation zu schwach ist. Wer nicht von selbst versteht, dass eine Uni keine Schule ist und dass man hier nur klar kommt, wenn man selbst aktiv wird, wird auf dem Jobmarkt wenig von seinem Studium profitieren.

Wenn Sie noch einmal Student wären, für welches Fach würden Sie sich entscheiden? Jussen: Ich habe damals zwischen Geschichte, Jura und Architektur geschwankt, habe aber keinerlei Informationen über Ablauf und Inhalt der Studien eingeholt. Dass ich kein Jurist geworden bin, finde ich heute gut. Gegen Architektur hatte ich mich entschieden, weil dies für die meisten Absolventen eine brotlose Kunst ist. Dass dies mit einer Geisteswissenschaft wie Geschichte nicht viel besser ist, hätte ich eigentlich wissen können. Wenn ich es nochmals machen müsste, würde ich hoffentlich klug genug sein, vor der Entscheidung die Fächer an den Universitäten aufzusuchen und mich genauer zu informieren.

Was gefällt Ihnen an der Uni Bielefeld besonders gut? Jussen: Der Bau. Architektonisch ist die Uni sehr gut gelungen, ein Art gebaute Ideologie der 60er Jahre, aber formal viel besser gelöst als in Bochum oder Konstanz. Inzwischen hätte der Bau eine Generalüberholung nötig, schon weil die 60er nicht mehr ganz den Lehr- und Lernerwartungen entsprechen. Aber ich habe gehört, dass auch einiges in Vorbereitung ist.

Welche deutsche Universität verdient Ihrer Ansicht nach den Titel »Elite-Uni«? Jussen: Das kommt auf die Kriterien an. Die oft als Kandidaten genannten Unis sind in meinem Fach nicht besser als Bielefeld, wenn nicht schlechter. Weshalb sollten sie von der Qualität ihrer Unikliniken profitieren und als »Elite« gelten? In der Regel sind nicht Universitäten gut, sondern einzelne Fachbereiche.

Was erhoffen Sie sich für Ihren Fachbereich von Studiengebühren? Jussen: Da habe ich noch keine klare Vorstellung. Wir sind eindeutig personell unterbesetzt für eine gute Betreuung, die Ausstattungen sind zwar akzeptabel, aber nicht Spitze. Eine EDV unterstützte Lehrveranstaltung ist immer noch ein Kreuz. Auch wäre es sehr gut, Zusatzqualifikation - wie Rhetoriktrainer - einfach einkaufen zu können.

Inwieweit erfahren Sie seitens Ihrer Familie Unterstützung für Ihren Beruf? Jussen: Was den Inhalt meines Berufs angeht, ist das einfach: Meine Frau ist Kunsthistorikerin, so dass Unterstützung gewissermassen unvermeidlich ist. Meine Frau liest und kritisiert praktisch alles, was ich schreibe.
Bei der Betreuung der Kinder bin ich nicht gerade paritätisch beteiligt, und bei den vielen auswärtigen Tagungen oder Vorträgen, die nun mal zum Beruf gehören, muss ja einer das Leben zu Hause aufrecht erhalten. Da meine Frau auch arbeitet, ist dies immer ein schwieriges Austarieren.

Artikel vom 03.05.2005