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Kristian redet
um sein Leben

Theaterstück gegen Missbrauch

Von Thorsten Stegemann
Osnabrück (dpa). Betroffenes Schweigen, aber auch lang anhaltender Beifall für eine herausragende schauspielerische Leistung: Ein Erfolg war am Dienstagabend die Uraufführung des Ein-Personen-Stücks »Ich werde es sagen« im Osnabrücker emma-Theater.

In der Inszenierung von Jens Pallas spielte Reinhard Gesse die Hauptrolle des Kristian in der Bühnenfassung der gleichnamigen Autobiografie von Kristian Ditlev Jensen. Der dänische Autor, der zur Premiere angereist war, schildert darin, wie er als Kind drei Jahre sexuell missbraucht wurde.
Es dauerte 20 Jahre, bis Jensen über diese Erfahrungen reden, den Täter anzeigen und seine Geschichte aufschreiben konnte. Doch er hat sein Schweigen gebrochen, und dies soll Betroffenen Hoffnung und Mut machen. So sieht es auch Pallas, der Jensens Autobiografie für die Bühne bearbeitet und die Uraufführung selbst inszeniert hat. Er zeigt auf engstem Raum, wie ein Missbrauchsopfer zerbricht und trotzdem die Chance nutzt, sich von seinem Albtraum zu befreien.
Gleichwohl scheint Kristian die wenigen Quadratmeter Bühne als Gefängnis zu erleben. Ihn halten nicht die spärlichen Requisiten, sondern die quälenden Erinnerungen fest, die seine Kindheit vergiftet haben. Weil Eltern, Verwandte und Lehrer wegsehen, muss er seinem Peiniger immer und immer wieder zu Willen sein - trotz Scham und Ekel, die ihn schließlich auf die absurde Idee bringen, selbst schuld zu sein. Gustav, Täter und »Freund der Familie«, hat gedroht, ihn umzubringen, wenn er über seine Erlebnisse spricht. Doch jetzt lässt sich Kristian nicht mehr einschüchtern und redet - um sein Leben.
Reinhard Gesse spielt diesen Kristian anrührend, glaubwürdig und mit einer großen Palette schauspielerischer Ausdrucksmittel. Er ist das störrische Kind, der rebellische Halbstarke, der zaudernde und schließlich couragierte Mann, erliegt aber nie der Versuchung, sich im Selbstmitleid zu verlieren. Die eingestreuten Songs betonen trotz harter Beats denn auch eher Momente der sich langsam aber stetig entwickelnden Reflexion. Gesse fesselt das Publikum, indem er die Barriere zwischen Bühne und Zuschauerraum überwindet und auch die Besucher in die Verantwortung nimmt.
»Ich werde es sagen«, das neueste Stück der »theaterpädagogischen werkstatt«, die seit 1994 durch außergewöhnliche Präventionsprogramme für Kinder und Jugendliche bundesweit für Aufsehen sorgt, soll demnächst vor allem an Schulen gezeigt werden. Das Projekt entstand in Zusammenarbeit mit dem Verein »Dunkelziffer e.V - Hilfe für sexuell missbrauchte Kinder«.

Artikel vom 28.04.2005