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Doppelter Stress bringt
Gehirn aus der Balance

Neuroanatomen: Schizophrenie durch Fehlverschaltungen

Bielefeld (sas). Die Behandlung von Schizophrenie oder durch Drogen ausgelöste Psychosen hat sich in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten verbessert. Unzureichend, sagt Prof. Dr. Gertrud Teuchert-Noodt, ist sie gleichwohl noch immer.
Seit einem Vierteljahrhundert erforscht die Neuroanatomin mit ihren Mitarbeitern die Vorgänge im Gehirn, die Funktionen und Fehlfunktionen. Beim Verständnis von Schizophrenie sind die Wissenschaftler der Universität Bielefeld einen wichtigen Schritt weitergekommen. Das könnte Folgen für die Medikamentierung haben.
Ein Prozent der Weltbevölkerung, so die gängige Meinung, sei von einer Schizophrenie betroffen, erläutert die Biologin. Dabei zeigten drogeninduzierte Psychosen allerdings eine ähnliche Symptomatik. »Die Abgrenzung ist schwer.« Auslöser seien ein frühes Trauma - zum Beispiel vorgeburtliche Infektionen oder eine Verletzung - und Umwelteinflüsse vor allem in der Phase der Gehirnreifung. Beides zusammen, ergaben Forschungen von Doktorand Francesco Bagorda, führt zu Fehlverschaltungen im Stirnhirn (»Dort spielt sich die Psychose ab.«) und vom Stirnhirn zu anderen Hirnarealen. Eine wichtige Rolle spielen dabei Botenstoffe, so genannte Transmitter.
Neben Dopamin und dem »Glückshormon« Serotonin ist das vor allem auch Glutamat, das schon in den 70er Jahren in der Diskussion war. »Es erlaubt uns das konzentrierte Denken und Verknüpfen von Beziehungen«, sagt Teuchert-Noodt. Die Botenstoffe sind von Bedeutung für die Interaktion zwischen Hippocampus, wo die Nervenzellen neu gebildet werden, und den anderen Hirnarealen, vor allem dem Stirnhirn. Dabei kommt es auf die richtige Balance an: Ein Zuviel an Dopamin im limbischen System kann einhergehen mit einem Mangel im Stirnhirn. Eine Medikation ist also nicht einfach, da das Übermaß geblockt werden muss, ein Blocker aber eben auch den Mangel verstärkt.
Was das System aus dem Gleichgewicht bringt, hat Bagordas an Wüstenrennmäusen getestet. »Wir haben die Tiere primär geschädigt durch eine einmalige abe von Metamphetamin. Danach wurde eine Gruppe im Gehege, also unter guten Bedingungen, aufgezogen und eine andere im engen Käfig.« Die erste Gruppe gedieh trotz Frühschädigung. »Bei der zweiten bewirkten die soziale Deprivation und der pharmakologisch ausgelöste Stress ein Ungleichgewicht des Glutamates im Gehirn.« Die Folge: Fehlschaltungen und eine mangelhafte Umorganisation des Gehirns während seiner Reifung. »Die Befunde sind auf den Menschen zu übertragen. Bei ihm kommt es dann als Folge zu einer schizophrenen Erkrankung oder eben, wenn Heroin oder Ecstasy genommen wurden, zu einer drogeninduzierten Psychose.« Ein wirksames Medikament muss also die Fehlsteuerung korrigieren durch ein Ausbalancieren der Botenstoffe.
Wie die dafür benötigten Substanzen zusammenwirken, zeigt Doktorand Markus Butz am Computermodell, das ein Gehirn nachbildet. Er »verabreicht« einen Botenstoff nach dem anderen und beobachtet, was passiert, kann zum Beispiel durch Übererregung die Verbindungen zwischen Zellen oder die Zellen selbst zum Absterben bringen. »Die Struktur des Hirns bedingt die Funktion, die Funktion wiederum verändert die Struktur«, sagt er. Mit seinem Modell kann er die Dynamik der Rückkoppelung, die selbstorganisierenden Aktivitäten simulieren. »Er kann echte Netze modellieren«, betont Teuchert-Noodt. Ziel ist, Entstehung und Fortgang einer Psychose nachzubilden - und dann Pharmaka am Modell durchzutesten. »Was im Experiment extrem aufwendig wäre, kann die Simulation ermöglichen: nämlich Veränderungen über den Zeitverlauf sichtbar zu machen«, erklärt Butz.

Artikel vom 29.04.2005