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Das Strafgesetz nimmt
auch Kranke ernst

Anfallskranke Bethel-Patientin verprügelte Männer

Bielefeld (uko). Auch Einrichtungen wie die von Bodelschwinghschen Anstalten sind gegen Straftaten nicht gefeit. Wenn selbst Ärzte und Pfleger in Bethel vor einer zu Gewalttaten neigenden Kranken kapitulieren, ist auch die Justiz nahezu ohnmächtig. Dennoch verurteilte jetzt das Amtsgericht Bielefeld eine anfallskranke Frau wegen vorsätzlicher Körperverletzung in drei Fällen zu fünf Monaten Bewährungsstrafe.

Seit einem frühkindlichen Hirnschaden ist die 28-jährige Brigitte D. (Name geändert) nicht nur in ihrer Intelligenz gemindert. Außerdem leidet sie unter einer symptomatischen Epilepsie und damit seit dem Kindesalter unter Krampfanfällen. Obendrein attestierten Ärzte der gebürtigen Berlinerin ein hirnorganisches Psychosyndrom. Fazit: Brigitte D. wurde Zeit ihres Lebens von Krankenhaus zu Krankenhaus weitergereicht. Nach einem längeren Aufenthalt in der Berliner Anstalt Lobetal lebt sie seit Jahren in Bethel im Haus Gaza.
Drei Vorfälle in den Jahren 2003 und 2004 beschäftigten nun das Amtsgericht: Am 15. November 2003 würgte Brigitte D. einen Mann, weil der sich nach ihrer Ansicht »zu laut« unterhielt. Am 30. Januar 2004 schlug sie einem Fahrgast in einem Bus auf dem Weg nach Bethel die Faust ins Gesicht - weil der Mann den Haltekopf gegen ihren Willen gedrückt hatte. Am 25. April 2004 wuchtete sie in einer Werkstatt einem Mann eine Glasflasche grundlos auf den Hinterkopf.
Amtsrichter Hermann Schulze-Niehoff argwöhnte, dass die Angeklagte Männer nicht möge. »Nein«, lautete die schlichte und ehrliche Antwort. Ruhig, bestimmt und mit einfachen Worten erklärte der Richter der Frau, sie mache sich strafbar, »und Sie wissen das«.
Gilead-Gutachter Dr. Rainer Burdinsky hielt die Angeklagte nur für eingeschränkt schuldfähig. Nach Ansicht des Pflegepersonals in Bethel stehe aber im Hintergrund auch ein Streit mit den Eltern der Frau, von denen »häufig andere Impulse« hinsichtlich der Behandlung kämen.
Schulze-Niehoff fasste das Dilemma prägnant zusammen: »Wenn die Justiz nicht reagiert, wird Bethel die Frau aussortieren. Dort wird anständige Arbeit geleistet, und man hat auch Verantwortung für andere Menschen.« Sofern sich Brigitte D. nicht anpasse, drohe ihr zwangsläufig »der Frauenknast«, gab der Richter auch den in der Verhandlung anwesenden Eltern einen deutlichen Fingerzeig.
Hermann Schulze-Niehoff, der den Strafantrag des Staatsanwalts um zwei Monate überbot, begründete sein Urteil eben mit humanistischen Grundsätzen: »Das Gesetz nimmt auch Sie als Bürger und Mensch ernst.« Daher sei die Bestrafung auch einer Kranken zwingend. Das Urteil ist rechtskräftig.

Artikel vom 13.05.2005