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McOlive befiehlt - und die
Bürger bauen ihre Stadt auf

Zivilisten und Militärs lösten viele Probleme gleichzeitig

Bielefeld (WB). »So soll heute den amerikanischen Soldaten durch den Rundfunk mitgeteilt worden sein, Amerika habe Rußland den Krieg erklärt.« Als Gerücht begann - sehr früh, denn die Notiz aus dem Tagebuch des Verwaltungsrats Wilhelm Schwarze stammt vom 7. April 1945 -, was später als Kalter Krieg traurige Berühmtheit erlangen sollte. Parole: schnellstmöglicher Wiederaufbau!

»Die Alliierten hegten detaillierte Vorstellungen, wie Deutschland nach dem Krieg aussehen sollte«, sagt der langjährige Leiter des Stadtarchivs Reinhard Vogelsang. »Bei der verwaltungstechnischen Umsetzung ihrer Ideen jedoch machten sie bemerkenswert viele Fehler: Die Militärs glaubten, nichts delegieren zu können, und verzettelten sich gehörig.«
Bielefeld wurde zunächst vom Lautsprecherwagen und von der Plakatwand aus »regiert«. Die erste öffentliche Bekanntmachung vom 7. April, die noch heute im Stadtarchiv aufbewahrt wird, regelt die Ausgangszeiten (9 bis 12 Uhr), Fortbewegungsart (nur zu Fuß), Kommunikation (»Verkehr mit anderen Städten ist verboten«) und Abgabe von Waffen und Sprengstoff (in der Diesterweg-Schule an der Rohrteichstraße). Nur drei Tage später hing der erste Anschlag der deutschen Verwaltungsspitze aus, unterzeichnet von »Stadthauptmann« Josef Niestroy.
Denn keine 24 Stunden nach dem Einmarsch hatten die Sieger verlangt, alle »Notabeln« der Stadt möchten die zivile Leitung der Stadt übernehmen. Fräulein (so steht es ganz ohne Arg im amtlichen Schreiben) Ella Broks aus dem Vorzimmer von Dr. Kurt Graeven hat 1947 dem Quellensammler Friedrich Karl Kühlwein die Namen der ersten Mannschaft übermittelt; sie seien hier zur Erinnerung aufgelistet: OB Niestroy, Stellvertreter Kurt Graeven, Karl Pawlowski (der spätere Gründer des Johanneswerks), Dechant Schmidt, Reichsbankdirektor Martin ter Vehn, Erich Bulk von der Handelskammer, Hermann Petri, Heinrich Pfeil (Landgericht), Schober (Reichspost) und Dr. Herbert Sprengel (Städtisches Krankenhaus).
Die heimische Sozialdemokratie war konsterniert: 1000 Jahre lang hatten die Genossen im »Dritten Reich« gelitten, hatten mit dem prominenten Minister Carl Severing einen hervorragenden Denker und Organisator in ihren Reihen - und nun überging man sie zugunsten einer katholisch orientierten Verwaltung. Mit »belasteten« Mitgliedern: Das einstige NSDAP-Mitglied Graeven wurde binnen weniger Tage aus einer Sitzung heraus verhaftet und in Recklinghausen interniert.
Die SPD hatte von Beginn an Artur Ladebeck favorisiert; den in Berlin und im schlesischen Gleiwitz eingesetzten ehemaligen Polizeioffizier und - seit 1940 - in Bielefeld tätigen Versicherungsdirektor Niestroy hielten sie für unprofessionell. Nicht zu Unrecht: Niestroy hielt sich nur bis zum Jahresende '45, kehrte (in Minden) in den Polizeidienst zurück, wurde aber auch dort bald entlassen.
Zivilisten und Militärs standen vor schweren Aufgaben. Zunächst ging man gegen die Übergriffe der freigelassenen Zwangsarbeiter und der niederen Soldatendienstgrade vor. Dann musste die Versorgung mit Lebensmitteln, Energie und Wasser sichergestellt werden. Bielefelds Einwohnerzahl war von 126 000 (April 1938) auf 70 000 gesunken, aber trotz des Zuzugsverbots strömten die Menschen wieder heim, in ihrem Gefolge die ersten Ostvertriebenen - und das angesichts 15 688 zerstörter Wohnungen!
»Verwaltung und Militärregierung mussten all diese Probleme gleichzeitig lösen«, sagt Vogelsang. Oberster Chef war der britische Lieutenant Colonel Douglas McOlive, ein »konstruktiver Pragmatiker«, dem Straf- und Revanche-Gedanken zweitrangig waren. Vielmehr bauten Besatzer und Einheimische zielstrebig das Land aus Trümmern wieder auf; alle nicht eindeutig nationalsozialistischen Gesetze blieben in Kraft.
Die Bielefelder neigten damals zu »Ergebenheit« (Vogelsang), aber das Verhältnis zu den Siegern (Plansoll: 6000 Soldaten in der Stadt) entspannte sich in dem Maße, in dem die Engländer zu Arbeitgebern wurden. In der Bevölkerung allerdings galten »beim Tommy« Beschäftigte als halbe Vaterlandsverräter.
Wie auch immer: Als McOlive, der seine Ehefrau in Bielefeld kennen gelernt hatte, 1951 ging, wurde er (zumindest von der einheimischen Führungsschicht) wie ein guter Freund verabschiedet.
Da waren, nicht zuletzt im Gefolge der Währungsreform, die Lebensverhältnisse bereits merklich besser. Die Bürger hatten bei der Normalisierung der Verhältnisse geradezu Übermenschliches geleistet - sie waren aber auch Weltmeister im Feiern. Eine Bielefelderin, in jenen Tagen des Mangels ein lebenshungriges Mädchen, erzählte jüngst, wie sie und ihre Altersgenossen die Sperrstunde umgingen: »Wir tanzten einfach bis in den frühen Morgen . . .«
Am Donnerstag lesen Sie: Krieg, Gefangenschaft, Heimkehr: Der Flakhelfer Wilhelm Oermann überlebte die Todeslager auf den Rheinwiesen.

Artikel vom 26.04.2005