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Wo die Murmeltiere pfeifen
Beschauliches Pinzgau lockt mit unberührter Natur und einsamen Pfaden
Die Kabinen der Wildkogelbahn sinken in ein graues Nichts herab. Dichte Wattebauschwolken hüllen die Bergstation auf 2100 Meter Höhe ein. Aus dem Nebel heraus ertönt ein Pfiff, die Antwort kommt postwendend aus einer anderen Richtung.
Da informieren sich zwei Murmeltiere über den einsamen Wanderer, der dem Gipfelkreuz zustrebt. Der Weg führt über die Grasberge zwischen dem quirligen Kitzbühel in Tirol und dem beschaulichen Neukirchen im Salzburger Pinzgau. Oder soll man sagen: Schneeberge? Denn obwohl es Juli ist, schüttelt Frau Holle seit Stunden ihr Federbett aus. Weiße Flocken bedecken die Almblumenwiesen.
»Das Wetter treibt uns in den Wahnsinn«, sagt der Radiomoderator, doch Franz Schernthaner an der Bergbahnstation wiegelt ab: »Schnee ist auch im Sommer in dieser Höhe nichts Ungewöhnliches.« Er gehört zum Oberen Pinzgau wie die Krimmler Wasserfälle. Da wird man auch pitschnass, wenn die Sonne scheint, denn im Sommer führt die Krimmler Ache 5600 Liter Gletscherschmelzwasser pro Sekunde, und die stürzen in drei Stufen über 60, 30 und 65 Meter in die Tiefe. Rechnet man die Katarakte dazwischen hinzu, so verliert der Fluss auf einen Kilometer Länge 380 Höhenmeter.
Bereits 1879 gab es einen Wanderweg, der sich linksseits der Ache den Berg hochzog. Doch erst 1898 mit der Eröffnung der Pinzgauer Schmalspurbahn setzte der Tourismus ein. Gischt und Sprühschleier, donnernde Wassermassen, Reflexionen auf nassen Felsen faszinieren die Besucher. Am Fuß der Wasserfälle lädt die »Wasserwunderwelt« zum Besuch ein.
Während die Kinder sich im Garten mit Wasserspielen vergnügen, können sich die Eltern in der naturkundlichen Ausstellung über den Wasserkreislauf in der Natur, die Entwicklung des Nationalparks Hohe Tauern und über Phänomene wie den lautlosen Wasserstrahl informieren.
Wer mehr unterhaltsame Bildung sucht, kommt in Europas höchster Volkssternwarte in Königsleiten auf seine Kosten, wo der Astronom Heinz Tirsch nicht nur die Himmelsbeobachtung erklärt, sondern auch die Astrologie als Scharlatanerie enthüllt: »Der Lauf der Sonne im Jahr, auch Ebene der Ekliptik genannt, und die Projektion des Erdäquators haben keinen festen Schnittpunkt, dieser wandert vielmehr in 26 000 Jahren einmal rund um den Himmel. Seit man vor 2500 Jahren in Babylon die Astrologie begründete, hat sich dieser Punkt um ein ganzes Sternzeichen verschoben. Wer sich als Krebs-Geborener bezeichnet, ist heute also in Wirklichkeit ein Zwilling.«
Wesentlich volkstümlicher geht es in Bramberg zu, wo die Bäuerin Hildegard Enzinger den Salzburger Wollstadel betreibt. Sie ärgerte sich, dass die Wolle der Pinzgauer Schafe früher als Sondermüll verbrannt wurde. Zusammen mit Freundinnen begann sie, die Wolle aufzukaufen, zu waschen, kämmen und zu filzen. Filzhüte, aber auch gestrickte und später gefilzte Wollpullover sind idealer Regenschutz, der zugleich die Körperwärme hält.
Im benachbarten Heimatmuseum Bramberg kann man sich über die Krampustradition, das Tischlerhandwerk, Volkskunst und vieles mehr informieren. Und darauf hoffen, dass am nächsten Tag wieder die Sonne über dem Wildkogel scheint - dann nämlich hat man von dort aus einen phänomenalen Blick hin zum Großvenediger, einem Sehnsuchtsziel vieler Alpinisten.

Artikel vom 30.04.2005