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Leitartikel
Schuldkomplexe über alles?

El Niño, Huber,
Adolf H.


Von Rolf Dressler
Der An-allem-schuld-Komplex ist und bleibt eine urtypisch deutsche Spezialität. Spöttern, Neidern und anderen Übelwollenden in jedem Erdenwinkel wird sie fortwährend frei Haus geliefert. Ganz besonders natürlich auch wieder im nunmehr 60. Jahr des Gedenkens an das Ende des zweiten großen Krieges im vorigen Jahrhundert.
Unvermittelt und wie aus heiterem Friedenszeiten-Himmel also trifft uns dergleichen nicht. Schließlich haben wir sündigen Deutschen, die Nachgeborenen inbegriffen, ja schon viele, viele Umdenk- zettel und Umorientierungsmaßregelungen verabreicht bekommen - und wir erweisen uns beinahe tagtäglich als beispielhaft-beispiellos bußfertig und folgsam.
Dabei zieht auch die Stabsabteilung »Skurriles« alle, wirklich alle Register. Nicht einmal vor Adolf H., dem vorgeblich einzigen echten und mithin unübertrefflichen Mega-Bösewicht der Weltgeschichte, macht sie halt. Hier zur Erbauung oder als Aufreger nur eine aktuelle Mini-Auswahl:
- Hoch oben in der deutschen Doping-Tradition von der sogenannten Panzerschokolade bis zur DDR-kommunistischen Medaillensucht-Maschinerie stand auch schon der aus dem Österreichischen zugewanderte, fürchterliche »Führer«. Man denke, schon Hitler und andere Nazi-Größen schluckten reichlich Testosteron, freilich nicht aus Sportler-Ehrgeiz, sondern um die Zeugungsfähigkeit zu stärken...!
- Bislang galt es als gesicherte Erkenntnis, dass »Väterchen Frost« der »glorreichen« Roten Armee des Sowjet-Tyrannen Joseph Stalin entscheidend zu Hilfe kam, als es galt, Hitlers Truppen bei ihrem Vormarsch auf Moskau zu stoppen. Soeben aber ergaben neueste, durchaus ernstgemeinte Schweizer Forschungen, dass das kriegs(vor)entscheidende »Väterchen« in Wirklichkeit nur der kleine Bruder von El Niño, der regelmäßig wiederkehrenden natürlichen Klimaschwankung über dem Ost-Pazifik vor der Küste Südamerikas, gewesen sein kann (Prof. Stefan Brönnimann, Zürich).
- Unterdessen regte die Tageszeitung »Die Welt« unlängst humorig an, Guido Knopp, der Chef-Historiker des ZDF, möge doch endlich auch einmal »die Rolle der Dinosaurier im Dritten Reich« gebührend untersuchen...
In dieses Umfeld platzte nun zudem noch Wolfgang Huber, der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland. Er befand es für richtig, in einer öku- menischen Andacht im Berliner Dom seiner »tiefen Scham über die Verstrickung (!) des Deutschen Reiches in den Völkermord der Türken an 1,5 Millionen Armeniern vor 90 Jahren« Ausdruck zu ge- ben. Dafür bitte er die Türkei »um Verzeihung«. Frage: Für wen spricht Huber so, wie er spricht?
Als Sofort-Echo darauf warnte der SPD-Politiker Walter Momper davor, »die Vergangenheit als Keule zu benutzen« etwa gegen einen EU-Beitritt der Türkei - diese müsse vielmehr nach ihrer heutigen Politik beurteilt werden.
Wird aber nicht genau Letzteres den bösen An-allem-schuld-Deutschen immer wieder verwehrt?

Artikel vom 28.04.2005