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Fischer räumt eigene Fehler ein
- verteidigt aber Einreisepolitik

Opposition sieht »politisches Geständnis« und Beweis für sein Versagen

Berlin (dpa). Mit dem Eingeständnis eigener Fehler und einer grundsätzlichen Verteidigung seiner Einreisepolitik hat Außenminister Joschka Fischer vor dem Visa-Ausschuss die Offensive gesucht.
Vom Missbrauch deutscher Touristen-Visa vor allem an der Botschaft in Kiew habe er zu spät erfahren, erklärte Joschka Fischer. »Das Hauptproblem war das mangelnde Monitoring durch die Hausspitze.« Foto: dpa
In einer live vom Fernsehen übertragenen mehrstündigen Aussage übernahm der Grünen-Politiker gestern die Verantwortung für die Liberalisierung der Visa-Politik und damit verbundene Fehler. Der Opposition warf Fischer zugleich »infames und niederträchtiges« Verhalten vor, weil sie die den Visa-Missbrauch zu Wahlkampfzwecken skandalisiere.
CDU und FDP werteten die Aussagen als »politisches Geständnis« und Beweis für das Versagen Fischers. Für SPD und Grüne machte der Außenminister klar, dass die Visa-Affäre kein »Skandal« ist.
Fischer betonte, es gebe keine belastbaren Zahlen dafür, dass Zwangsprostitution und Schwarzarbeit aufgrund des Visa-Missbrauchs gestiegen seien. »Dennoch laufen Sie durch die Gegend und bezeichnen mich als Zuhälter«, rief Fischer den Ausschussmitglieder der Union zu. Sein Fehler sei es gewesen, bei den Missständen in Kiew »nicht früh genug und nicht schnell genug eingegriffen« zu habe. »Diesen Fehler muss ich mir vorhalten lassen.« Er habe von den Missständen vor seinem Kiew-Besuch im Sommer 2000 erfahren, sie aber vor allem als Ressourcen- und Personalproblem eingestuft.
Die bisher als »Volmer-Erlass« bekannte Anweisung vom März 2000 (»Im Zweifel für die Reisefreiheit«) habe er zu verantworten - weshalb er vorschlage, vom »Fischer-Erlass« zu sprechen. Dieser Erlass sei aber kein »kalter Putsch« der Außenamtsleitung und auch nicht Ursache für die Missstände in Kiew: »Kiew war ein singulärer Fall.« Der Minister musste während des Vernehmung mehrmals Erinnerungslücken einräumen. Auf die Frage etwa, ob er zwischen 2000 und 2003 von Botschaftern auf Missstände angesprochen worden sei, sagte Fischer: »Mir liegt da keine Erinnerung vor.«
Als »Fehler mit fatalen Konsequenzen« bezeichnet Fischer den so genannten »Plurez«-Erlass vom 15. Oktober 1999, der die Botschaften aufforderte, bei Vorlage einer ADAC-Reiseschutzversicherung (»Carnet de touriste«) auf die Prüfung weiterer Vorlagen zu verzichten. »Der Erlass fällt in meine Amtszeit, und ich habe dafür gerade zu stehen«, sagte Fischer. Allerdings habe die Weisung nicht die AA-Leitungsebene erreicht.
FDP-Obmann Hellmut Königshaus wertete die Aussage als »politisches Geständnis«, und auch für CDU-Obmann Eckart von Klaeden hatte die Aussage Fischers »Geständnis-Charakter«. Die Ausführungen belegten zudem, dass der Minister sein Haus nicht im Griff habe. Für die Vertreter von SPD und Grünen im Ausschuss, Olaf Scholz und Jerzy Montag, zeigte die Aussage dagegen, dass es in der Visa-Affäre zwar Fehler, aber keinen Skandal gegeben habe.
Fischer hatte in seiner mehr als zweistündigen Eingangsstellungnahme auch ein Plädoyer für Reisefreiheit gehalten. Die Vorgängerregierung von Union und FDP habe mit Blick auf die Entwicklung in Mittel- und Osteuropa stets eine liberalisierte Einreisepolitik verfolgt. »Diese Politik von Kohl/Kanther/Kinkel war richtig.«
Das »Dümmste«, was Deutschland sicherheitspolitisch heute tun könnte, wäre sich abzuschotten, sagte Fischer. Deutschland müsse ein weltoffenes Land bleiben. Auch für die Entwicklung in anderen Ländern sei dies wichtig: »Wie wollen wir die Transformation Weißrusslands ohne Reisefreiheit erreichen?«, fragte der Minister.
Im Visa-Untersuchungsausschuss stehen bis zum 8. Juli nach derzeitigem Stand noch acht Sitzungen an. Bei den drei so genannten »Kiew-Tagen« (2. und 12. Mai sowie 2. Juni) geht es um die Visa-Erteilungspraxis der deutschen Botschaft in Kiew. Als Zeugen werden unter anderem die frühere und heutige Leiterin der Visa-Stelle vernommen.
In der vorletzten Sitzung sollen Versicherungsfirmen am 30. Juni Details der als missbrauchsanfällig geltenden Reiseschutzversicherungen schildern. Dazu sind Vertreter vom ADAC, der Allianz und der HanseMerkur als Zeugen geladen. Am vorläufig letzten Termin, dem 8. Juli, wird Innenminister Otto Schily (SPD) vor dem Gremium erwartet. Die SPD fordert zusätzliche Ausschusssitzungen und will auch die früheren Minister Klaus Kinkel (FDP) und Manfred Kanther (CDU) vernehmen.

Artikel vom 26.04.2005