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Helfer zwischen den Fronten -
mit T-Shirt statt Splitterweste

Deutsche Welthungerhilfe stößt zu den Rebellen im Darfur-Konflikt vor

Aus dem Sudan berichtet
Reinhard Brockmann
Al Fascher (WB). Den Hunger in Krisengebieten zu stillen, verlange mitunter, das Rad neu zu erfinden, erzählt Jonas Wiahl. Mit Geschick und Improvisation organisiert er die Versorgung von bis zu 180 000 Überlebenden des Völkermordes in Darfur, Sudan. Dass er soeben aber ein noch viel größeres Rad gedreht hat, erwähnt er im Gespräch mit dem WESTFALEN-BLATT nicht weiter.

Der, den sie daheim in Schweden für einen Hippie auf Dritte-Welt-Trip halten, hat vergangene Woche den Weg freigemacht, für die Versorgung von weiteren 100 000 Menschen in den nur unter Lebensgefahr erreichbaren Rebellen-Gebieten.
Als Projektleiter der Deutschen Welthungerhilfe (WHH) muss er seine Neutralität strikt waren, weiß sie aber auch geschickt zu nutzen.
Aus »Hunger als Waffe« macht er »Nahrung nur bei Wohlverhalten«. Blockieren Rebellen Straßen, sollen auch deren Familien in diesem Monat nichts zu essen bekommen, sagt er.
Der Konflikt ist weit komplizierter, als das Muster Regierung und Reitermilizen hier gegen die Rebellen von SLA und JEM dort vermuten lässt. Klar ist: 300 Dörfer wurden abgebrannt, 70 000 kamen um, Kofi Annans Stellvertreter hält auch drei- bis fünfmal höhere Zahlen für denkbar, und zwei Millionen sind auf der Flucht.
Für jeden kleinen Transport in den riesigen Wüsten zum Tschad muss Jonas Genehmigungen einholen, was noch lange nicht bedeutet, dass die Militärs durchwinken. Schon gar nicht deren Hilfstruppen, die gefürchteten Janjaweed-Kamelreiter, die deutsche G3-Schnellfeuergewehre tragen. Sollen Flüchtlinge im Rebellengebieten versorgt werden, braucht Jonas die Zustimmung der extrem misstrauischen Aufständischen. Über Satelliten-Telefon hat er losen Kontakt mit einem »SLA-Verbindungsoffizier«, viel zu oft erreicht er ihn nicht. Alles wird abgehört, manches scheint konspirativ, zweimal ist er Suleiman Jamus kurz begegnet. Nicht immer erreichen dessen Zusagen die Freischärler. Zwei Mitarbeiter von »Save the Children« wurden im Oktober von der SLA erschossen, andere fuhren auf eine Mine. Die WHH musste gottlob erst einmal einen Deutschen freihandeln.
Letzte Woche sollte es ein ganz normaler Check an einer der wenigen Verteilstellen im Rebellengebiet werden. Über Sat-Handy kündigte Jonas sein Kommen mit einem Team aus dem Hauptquatier der WHH in Bonn an. Suleiman sicherte freies Geleit zu und war überhaupt zuvorkommend. Jonas, sofort skeptisch, gab sich formal distanziert. Außerdem weiß er nie, welcher Geheimdienst mithört.
In T-Shirts der Welthungerhilfe statt kugelsicherer Westen, mit weißen Fahnen an zwei wüstentauglichen Landcruisern und reichlich flau im Magen startet die humanitäre Delegation am nächsten Morgen ihre Fahrt nach Birmasa, dem Sitz der Rebellen. Ein Maschinengewehr auf Lafette und eine leichte Panzerfaust am letzten Kontrollpunkt der sudanesischen Armee weisen den Weg ins Niemandsland.
Plötzlich steht auf einem kleinen Blechschild »ALS« - sogar nicht-arabisch, aber immer noch von rechts nach links geschrieben. Hier beginnt das SLA-Gebiet. Der Konvoi stoppt, vom Bergrücken rechts, wo blanke Gewehrläufe in der Sonne glänzen, nähert sich eine verdammt kleine Person mit einer großen Waffe. Kindersoldaten sind tunlichst mit einem zackigen ÝYes, SirÜ anzureden, schießt es dem Reporter durch den Kopf.
Aus der Nähe betrachtet ist der Freischärler nicht ganz so jung. Er zählt die Köpfe im Wagen und scheint informiert zu sein. Auch der zweite Posten weiß nach einigem Hin und Her Bescheid.
Nicht nur Jonas braucht danach eine Zigarettenpause im Grenzdorf. Und siehe da: 730 Kinder unter UNICEF-Zeltplanen, elf Lehrer, drei Jahrgänge. Der nirgendwo auf der Welt anerkannte Zwergstaat SLA zeigt sich von seiner besten Seite.
Birmasa, viele Kilometer ohne erkennbare Piste später, ist eine Ansammlung von Lehmhäusern mit dunklen Mauern auf einer endlosen Fläche gelben Sandes. Bewaffnete in blauem Kaftan und mit weißem Turban über schlechten Zähnen umringen uns: Wir sollen hier warten. Ein alter, grauer Herr in dunklem Hemd und mit Bügelfalte nähert sich würdevoll durch den glühenden Sand - das »Thuraya«-Phone am Ohr. Suleiman Jamus heißt uns persönlich willkommen.
Wir nehmen Platz unter einem Schutzdach aus Reisig und, wie mir scheint, auf Munitionskisten. Dann stößt auch noch Musa Moktar, höchster SLA-Offizier in Jeans mit schwerer goldener Uhr, dazu. Das ist mehr, als die Nothelfer je erlebt haben. »Wir sind alle Sudanesen, hier wie dort«, eröffnet der vielleicht 65jährige SLA-Repräsentant mit ruhiger Stimme, »aber auch die, die in den Antonows (Bombern) sitzen, sind Sudanesen.«
Jonas erweist dem alten Herrn mit leiser Stimme allen gebotenen Respekt, steuert aber sofort auf die notwendige Akzeptanz seiner demnächst vier Teams für Lebensmittelausgaben hin. Niemand hier muss erwähnen, dass es frühestens im November 2006 wieder eine ausreichende Ernte geben kann. Die Furcht vor Spionen aus dem Regierungsgebiet scheint größer als der Hunger. Suleiman besteht darauf, dass allein seine Leute Hirse, Bohnen, Öl und Babynahrung abladen.
Aber so läuft das nicht bei der Deutschen Welthungerhilfe! Alle Flüchtlinge müssen registriert werden, die Austeilung sei heikel und könne bei zu vielen lokalen Mitentscheidern in falsche Hände geraten, beharrt Jonas.
Johann van der Kamp mit Sitz im fernen Khartoum bringt den Bau eines Lagerhauses am Sitz der Rebellen ins Gespräch. Doch Suleiman, der kluge Wüstenfuchs, schnappt nicht nach dem Braten, sondern bestimmt, das sei Punkt zwei und komme später dran.
Bruno Friedrich, verantwortlich in Bonn für ganz Süd- und Ost-Arika, spricht von Angola, Mosambik und der lückenlosen Kontrolle bis zu den Bedürftigen. Suleiman lernt, dass es in Europa Spendensiegel gibt, dass die deutsche Regierung nur verlässlichen Hilfsorganisationen Steuergelder anvertraut. Jonas bietet schließlich die Schulung von örtlichen Helfern an, besteht aber auf einer Mehrheit für seine Leute in gemischten Teams. Der junge Mann aus Schweden lässt seine hellen blauen Augen sprechen.
Über das sonnenvernarbte Gesicht des weisen alten Kämpfers aus der Wüste huscht kaum wahrnehmbar ein Lächeln. Suleiman spricht plötzlich davon, dass man sich jetzt schon länger kennt - und dann ist das Lagerhaus auch kein Problem mehr. Wenn die Welthungerhilfe Häuser für Rückkehrer bauen will, soll sie doch. Vom jüngsten Besuch im Tschad wisse er allerdings, dass niemand von dort zurückkehre, bevor nicht die Janjaweed entwaffnet und die Bombenflüge eingestellt worden sind. Unklar bleibt, ob das die Flüchtlinge ihrem angehenden Regierungschef gesagt haben oder er es ihnen befohlen hat.
Jonas Wiahl ist das gleich. Er und seine Begleiter haben soeben ein riesiges Tor ganz weit aufgestoßen, um weiteren 100 000 Menschen das Überleben zu sichern.

Artikel vom 23.04.2005