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»Der Kannibale
hat gemordet«

Totschlags-Urteil aufgehoben

Karlsruhe/Rotenburg (dpa). Der »Kannibale von Rotenburg« muss nun doch mit lebenslanger Haft wegen Mordes rechnen. In einem der spektakulärsten Fälle der Rechtsgeschichte hob der Bundesgerichtshof (BGH) am Freitag das nur auf Totschlag lautende Urteil des Landgerichts Kassel auf.
Armin Meiwes droht jetzt lebenslange Haft.

Für die Neuauflage des Prozesses legten die Karlsruher Richter eine Verurteilung des 43-jährigen Armin Meiwes wegen Sexualmordes nahe.
Das Landgericht Kassel hatte im Januar 2004 achteinhalb Jahre Haft gegen den osthessischen Computerfachmann verhängt. »Die Verurteilung nur wegen Totschlags und nicht wegen Mordes hält rechtlicher Überprüfung nicht stand«, entschied das Karlsruher Gericht. Der BGH ordnete eine neue Verhandlung beim Landgericht Frankfurt am Main an.
Der 2. Strafsenat folgte damit der Revision der Bundesanwaltschaft. Dagegen verwarfen die Richter die Revision des Angeklagten, der ein milderes Urteil wegen Tötung auf Verlangen durchsetzen wollte. Der seit seiner Jugend von Kannibalismus-Fantasien getriebene Meiwes hatte sich per Internet ein freiwilliges Opfer gesucht und den Mann, einen Berliner Ingenieur, im März 2001 vor laufender Kamera getötet, zerlegt und Teile der Leiche gegessen.
Nach den Worten der Senatsvorsitzenden Ruth Rissing-van Saan begegnet das Urteil »durchgreifenden rechtlichen Bedenken«. Denn die Kasseler Richter hätten zu Unrecht eine ganze Reihe so genannter Mordmerkmale abgelehnt, die zur Einstufung einer vorsätzlichen Tötung als Mord erfüllt sein müssen. Zugleich billigte der BGH, dass das Landgericht den Angeklagten als voll schuldfähig angesehen hatte.
In Betracht kommt laut BGH ein Mord zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, weil die Videoaufnahme der grausamen Schlachtung dem Angeklagten möglicherweise als Anschauungsobjekt für seine sexuellen Fantasien dienen sollte: »Es ist nicht auszuschließen, dass Meiwes tötete, um sich beim Betrachten des Videos sexuell zu befriedigen«, sagte die Vorsitzende. Die Beweiswürdigung des Landgerichts sei in diesem Punkt »widersprüchlich und lückenhaft«. Denkbar sei zudem, dass für Meiwes bereits die Schlachtung selbst einen sexuellen Hintergrund habe. Seine seit der Pubertät anhaltenden, mit Lustgewinn verbundenen Kannibalismus-Fantasien legten dies nahe.
In der nüchternen Sprache der Juristen schilderte Rissing-van Saan, wie Meiwes - getrieben vom Verlangen, sich einen jungen Mann einzuverleiben - nach mehreren Internetkontakten sein Opfer zu einem Treffen in seinem Gutshof in Rotenburg an der Fulda überredet hatte. Der extrem masochistisch veranlagte, 43 Jahre alte Ingenieur versprach sich durch seine Entmannung ein »ultimatives Hochgefühl« und willigte in seine Tötung ein, für die Meiwes in seinem abgelegenen Anwesen eigens einen Schlachtraum eingerichtet hatte. Az: 2 StR 310/04

Artikel vom 23.04.2005