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Das Wort zum Sonntag

Von Pfarrer Hans-Jürgen Feldmann


Als Kardinal Jorge Arturo Medina Estévez am 19. April die Formel sprach, »Annuntio vobis gaudium magnum, habemus Papam«, und dann den Namen des Gewählten kundtat, da ging ein Staunen durch die Welt. Immer wieder hatte man davon gesprochen, dass jemand, der als fast sicherer Kandidat für das Amt des Papstes in das Konklave einziehe, es aller Wahrscheinlichkeit nach als Kardinal wieder verlasse.
Zum ersten Mal nach fast einem halben Jahrtausend wurde mit Joseph Kardinal Ratzinger außerdem ein Deutscher zum Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche gewählt. Wer in Deutschland hätte das gedacht? Wer wäre nicht eher davon ausgegangen, dass Deutschland noch allzusehr die Makel aus seiner Vergangenheit anhafteten, als dass ein Mann aus seiner Mitte - so klug er auch sein mag - die Katholiken in aller Welt repräsentieren dürfte?
Ausgerechnet in Deutschland aber - Gesprächsrunden im Fernsehen und Kommentare in der Presse beweisen es - ist der Jubel über dieses Ergebnis nicht ungeteilt. Die einen - auch evangelische Christen - fühlen sich mit diesem Mann als Deutsche aufgewertet und in der Völkergemeinschaft neu geachtet. Die anderen dagegen befürchten, dass sich während seines Pontifikats so gut wie nichts bewege. Ob sie Recht behalten oder nicht, wird man der Zukunft überlassen müssen. Immerhin waren Päpste für Überraschungen schon gut, auch solche - man denke nur an Johannes XXIII. -, denen man das nicht ohne Weiteres zugetraut hätte.
Viele Katholiken knüpfen die Zukunftsfähigkeit ihrer Kirche an Reformen wie etwa die Abschaffung des Pflichtzölibats, die Zulassung von Frauen zum Priesteramt, an mehr demokratische Strukturen und mehr Beteiligung von Laien an wichtigen Entscheidungen. Als Protestant kann man sich darüber jedoch nur wundern. Denn alles das, was diese Katholiken in ihrem Haus vermissen, ist in der evangelischen Kirche längst verwirklicht.
Doch, so muss man leider hinzufügen: Es hat weder im Inneren zu einer stärkeren Lebendigkeit der Gemeinden oder zu größerer Intensität des Glaubens geführt, noch hat es für mehr Ausstrahlungskraft nach außen hin gesorgt. Es hat diese zwar nicht verhindert, aber es hat sie nicht bewirkt. Nimmt man den Gottesdienstbesuch als Gradmesser für geistliches Leben, so liegt die katholische Kirche trotz ebenfalls rückläufiger Zahlen immer noch eindeutig vorn.
Der neue Papst hat erkannt, dass nicht schon Modernisierungen am Erscheinungsbild der Kirche deren missionarische Kraft vergrößern und beachtenswerte Impulse freisetzen, sondern allein das Bemühen um den Kern und die Substanz des Glaubens. »Wenn wir nicht überzeugt sind und nicht überzeugen können, haben wir auch kein Recht, Öffentlichkeit zu verlangen«, so eins seiner Zitate. Es kommt also in erster Linie auf den Inhalt an, und erst wenn darüber Klarheit herrscht, sollte man über dessen Verpackung nachdenken und nicht, wie es vielfach geschieht, umgekehrt.
Auch gilt es, Probleme grundsätzlicher Art von Detailfragen, über die sich zwar in Talkshows viel bequemer und interessanter diskutieren läßt, zu unterscheiden. Eine Lebensfrage für das westliche Europa ist es nicht, ob Frauen zu Priesterinnen geweiht werden können, wohl aber, wie sich der Glaube an Gott gegen atheistische Denkrichtungen behauptet, und zwar so, dass selbst Atheisten gegenüber diesem Glauben nicht einfach zur Tagesordnung übergehen können, sondern sich ernsthaft mit ihm auseinandersetzen müssen.
Papst Benedikt XVI. vertritt klare katholische Positionen. Die muss man als Protestant nicht alle übernehmen, kann es auch gar nicht. Das Ringen um die Wahrheit bekommt aber auf die Dauer auch dem Miteinander der Kirchen besser als ein verwaschener Gefälligkeitsökumenismus, etwa nach dem Motto: Wir wissen zwar nicht mehr, was das Abendmahl ist und was in ihm geschieht, aber wir feiern es gemeinsam, weil wir uns dabei einfach wohl fühlen.
In seiner ersten Ansprache hat der neue Papst gesagt: »Ich vertraue mich euren Gebeten an.« Damit können sich auch alle Nichtkatholiken angesprochen fühlen, denen nicht nur die eigene Konfession, sondern die gesamte Christenheit am Herzen liegt.

Artikel vom 23.04.2005