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Streichen bei
Schiller erlaubt

OWL-Theater lehnen Werktreue ab

Von Dietmar Kemper
Bielefeld (WB). Die Forderung von Bundespräsident Horst Köhler, Schiller werkgetreu aufzuführen, stößt bei Intendanten und Regisseuren in Ostwestfalen-Lippe auf Ablehnung.
Kay Metzger, Intendant in Detmold.

»Dass sich Köhler so reaktionär zeigt, hat mich sehr enttäuscht«, sagte der Intendant des Landestheaters Detmold, Kay Metzger, dieser Zeitung. Er gehöre nicht zu den »Zertrümmerern«, die Klassiker in 1000 Stücke schlagen, aber ein zeitgemäßer Ansatz müsse erlaubt sein, betonte Metzger. Wie berichtet, ermahnte Köhler die Kulturschaffenden, Schillers Werke nicht zu zerpflücken, sondern »in ihrer Schönheit, Kraft und Komplexität« zu präsentieren.
Das Publikum wolle beides, Werktreue und Experiment, hält Metzger dagegen. Allerdings sollte Schillers Sprache tabu sein: »Ich halte es für falsch, die Sätze zu vereinfachen und Modernismen einzuführen.« Detmold berücksichtigt das Schillerjahr 2005 am 2. Oktober mit der »Jungfrau von Orleans«.
In Bielefeld kommt Goethes genialer Zeitgenosse bereits am 9. Mai zu seinem Recht. »Fürstengruft 200//Schiller« heißt das Stück im Hochbunker an der Neustädter Straße. »Zum Todestag möchten wir Schiller aus dem Grab holen und nachgucken, wie weit er für uns heute noch Gültigkeit besitzt«, erklärt der freie Regisseur des Stadttheaters Bielefeld Dominik Günther. Die Aktualität alter Sprache werde in modernen Situationen überprüft. In einer Szene fülle eine Familie das Formular für das Arbeitslosengeld II aus - die moderne Variante der Briefe, mit denen Schiller bei Fürsten um finanzielle Unterstützung bettelte. Literarische Fragmente zu verwenden, um mit Schiller zu experimentieren, hält Günther nicht für anrüchig: »Es ist wichtig, den Geist des Autors zu wahren. Wie die Inszenierung aussieht, ist etwas ganz anderes.« Nichts spreche dagegen, die »Räuber« als Motorradgang zu zeigen.
Auf behutsames Streichen setzt der leitende Dramaturg der Westfälischen Kammerspiele Paderborn, Jörg Uhl, wenn es bei Schiller grammatikalisch schwierig wird oder Pathos unfreiwillig komisch wirken würde. »Schiller wollte nicht, dass die Leute an bestimmten Stellen lachen«, meint er. Der Dichterfürst selbst habe nicht penibel auf Werktreue geachtet. Uhl: »Wir haben ÝKabale und LiebeÜ in Paderborn so gespielt, wie das Stück 1782 mit Einverständnis Schillers im Theater Mannheim aufgeführt wurde. Und da ist der Schluss anders als im Buch.«

Artikel vom 22.04.2005