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Pfunde verlieren bei den »Kiloräubern«

Schulungsprogramm für übergewichtige Kinder

Von Sabine Schulze
Bielefeld (WB). Fünf Prozent der deutschen Kinder sind adipös, das heißt sie haben ein Übergewicht, das behandlungsbedürftig ist. Und sollte der Trend der vergangenen Jahre anhalten, wird der Anteil der fettleibigen Kinder und Jugendlichen weiter steigen - und damit ihr Risiko, bereits in jungen Jahren an Altersdiabetes, Arthrose oder Herz-Kreislaufproblemen zu erkranken.

Abhilfe versprechen Schulungsprogramme wie die »Kiloräuber«. In Bielefeld bietet es Medi OWL an.
Medi OWL, ein Netz von 430 Ärzten und Psychologen, hat das Programm mit der Arbeitsgemeinschaft Adipositas im Kindes- und Jugendalter (AGA) entwickelt. Es richtet sich an stark übergewichtige Kinder zwischen acht und zwölf Jahren, die in Kleingruppen geschult werden, und erstreckt sich über ein Jahr. »Entscheidend ist, dass die Schulung auf vier Säulen ruht«, erklärt Dr. Walter Müller, der die medizinische Leitung hat. Unterstützt wird er von der Psychologin Juliane Krehmeier, der Motopädin Corinna Schröder, die die Kinder in Bewegung bringen soll und der Ernährungswissenschaftlerin Ruth Dinter.
Eine erste Gruppe mit zwölf Kindern hat ihren Kurs bereits im Oktober beendet, eine zweite neunköpfige, reine Mädchengruppe beendet ihn in wenigen Tagen. Und in beiden Gruppen haben die meisten Kinder ihren Body-Mass-Index zum Teil deutlich reduzieren können. Das bedeutet nicht unbedingt, dass sie abgenommen haben: »Es reicht uns, wenn sie ihr Gewicht halten und wachsen«, sagt Dinter.
Erfreulich ist für die Kursleiter, dass alle Kinder durchgehalten haben. Immerhin müssen sie sich einmal in der Woche treffen. Jedes Mal stehen Sport und Bewegung - mal Inliner, mal Tanz, mal Stromern durch den Wald - auf dem Programm, an den meisten Nachmittagen ist zudem Theorie vorgeschaltet: Dann geht es um gesunde Ernährung (auch mal mit gemeinsamem Kochen), um Gespräche über Selbstvertrauen oder um das Freizeitverhalten. »Parallel dazu finden Elternberatungen statt. Denn in aller Regel muss die Familie ihr Verhalten ändern und müssen Eltern ihre Kinder unterstützen«, erklärt Dinter.
Das Ziel ist, bei den Kindern die Lust am Sport zu wecken (unter sich fühlen sie sich wohler), ihnen zu vermitteln, dass sie Bewegung in ihren Alltag bringen müssen (Treppe statt Lift benutzen) oder sie dafür zu sensibilisieren, was sie tatsächlich in welchen Situationen essen und wieviel Zeit sie sitzend verbringen. »Dazu füllen sie eine Woche lang Selbstbeobachtungs-Bögen aus.« Und sind dann oft selbst erstaunt.
Wichtig ist aber ebenso, betont Müller, den Kindern das Genießen anstelle des Konsums zu vermitteln, sie schrittweise an Geschmack heranzuführen und sie auch in ihren Stärken zu unterstützen. »Ihre Selbst- und Fremdakzeptanz ist gering, ihr Leidensdruck oft groß.«
Die Kosten für den Kurs liegen zwischen 2000 und 2500 Euro. Die Eltern sind monatlich mit 50 Euro dabei und müssen zudem 300 Euro als »Pfand« hinterlegen; eine Summe, die sie zurück bekommen, wenn ihre Kinder durchhalten. Bis zu 1400 Euro zahlen zudem einige Krankenkassen (die Betriebskrankenkassen und die Gmünder Ersatzkasse), ansonsten unterstützt die Bielefelder Bürgerstiftung das Projekt. »Ohne sie hätte es so nicht geklappt«, betont Dr. Michael Müller.
Ihm und seinem Kollegen Walter Müller liegt daran, auf Kursangebote wie die »Kiloräuber« aufmerksam zu machen und die Wichtigkeit solcher Schulungen zu betonen. »Sie dienen der Sekundärprävention und sollen Spätfolgen verhindern.« Noch wichtiger wäre natürlich, sind sich die Ärzte einig, eine Primärprävention: »Täglicher Schulsport, Schülerlotsen, die Wege so sicher machen, dass alle Kinder zu Fuß gehen können und vieles mehr.«
Ein dritter Kiloräuber-Kurs wird gerade zusammen gestellt. Interessierte Eltern können sich bei Ruth Dinter, Telefon 15 22 01, melden, sie werden dann zu einem Informationsabend eingeladen.

Artikel vom 03.05.2005