21.04.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Visa-Vorgabe bereitete
Botschaft Probleme

Früherer Abteilungsleiter zeigt Erinnerungslücken

Berlin (Reuters/dpa). Die deutsche Botschaft in Kiew hatte mit der Umsetzung der Erlasse zur Liberalisierung der Visa-Vergabepraxis erhebliche Schwierigkeiten.

Die Botschaft sei mit den Erlassen nicht zurecht gekommen, weil die Vorgaben für die Ukraine nicht praktikabel gewesen seien, sagte der deutsche Botschafter in Kiew, Dietmar Stüdemann, gestern im Visa-Untersuchungsausschuss. In der Ukraine habe es ein kriminelles Umfeld gegeben, das Menschen mit erschlichenen Visa zu illegalen Zwecken ins Ausland gebracht habe.
Die Prüfung der Visa-Anträge sei zudem durch den Erlass vom Oktober 1999 zum »Carnet de touriste« (CdT) eingeschränkt worden. Andererseits habe es eine gestiegene Visa-Nachfrage gegeben. »Wir saßen zwischen Baum und Borke.« Der Erlass sah vor, bei Vorlage einer CdT-Reiseversicherung auf weitere Unterlagen des Antragstellers zu Reisezweck und Rückkehrbereitschaft zu verzichten. Der Diplomat warnte eindringlich vor einer Stigmatisierung der Ukrainer. Auch in Zukunft müsse es ein Visaverfahren geben, das Reisefreiheit für diejenigen sichere, die Kontakte ins westliche Ausland suchten und bräuchten.
Der deutsche Ex-Botschafter in Moskau, Ernst-Jörg von Studnitz, entschärfte vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestags gestern frühere Kritik an den Vorgaben der Ministeriumsspitze zur Visapolitik. Der Volmer-Erlass, den er früher als Umsetzung »grüner Ideologie« kritisiert hatte, habe zu »Missverständnissen« geführt. Er bezog seine Kritik auf die mangelnde Ausstattung der Botschaft trotz der großen Zahl der Visaanträge. Außenminister Joschka Fischer hätte aber von den Problemen wissen können.
Von Studnitz, von 1995 bis 2002 Botschafter in Moskau, relativierte ein Interview, in dem er den Erlass und Fischer mit den Worten angegriffen hatte: »Es war der Versuch, grüne Ideologie in praktische Politik umzusetzen.« Er hatte Fischer indirekt zum Rücktritt aufgefordert.
Im Ausschuss vermied es von Studnitz auf mehrfaches Drängen der Opposition, die politischen Vorgaben als »Ideologie« oder den Erlass als rechtswidrig zu bezeichnen. Statt grundsätzlicher Kritik betonte von Studnitz konkrete Probleme mit den Vorgaben angesichts der Zahl der Antragsteller: »Was problematisch war, war, dass die Auslandsvertretungen auf diese Entwicklungen nicht vorbereitet waren.« Seine Botschaft habe immer wieder Beschwerden an die Zentrale gerichtet. Studnitz sagte, er gehe davon aus, dass seine Berichte ans Ministerbüro gelangt seien und Fischer bekannt gewesen sein könnten. »Die Frage ist, ob er hingeschaut hat.«
Der Obmann der Union im Ausschuss, Eckart von Klaeden, sagte, entweder habe Fischer trotz Kenntnis der Probleme nicht reagiert oder sein Ministerium funktioniere nicht: »Entweder hatte er Kenntnis oder sein Radarschirm funktioniert nicht. Grünen-Obmann Jerzy Montag sagte, der Ausschuss werde klären, was Fischer zu den Problemen vorgelegt wurde.
Der damalige Chef der für Visa zuständigen Abteilung im Amt, Gerhard Westdickenberg, erklärte, er habe in zentralen Fragen keine Erinnerung mehr, etwa an konkrete Klagen von Botschaften über Missstände. Von Klaeden sagte: »Geradezu erschütternd, wie stark die Amnesie im Auswärtigen Amt verbreitet ist.«
Heute soll Ex-Staatsminister Ludger Volmer aussagen. Die TV-Sender Phoenix, n-tv und N 24 übertragen von 9 Uhr an live aus dem Untersuchungsausschuss. Am kommenden Montag befragt der Ausschuss dann Außenminister Joschka Fischer - ebenfalls vor laufenden TV-Kameras.

Artikel vom 21.04.2005