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Leitartikel
»Wir« haben einen Papst

Erbe und Einheit sind gesichert


Von Reinhard Brockmann
Große Freude in aller Welt, nur die Deutschen tun sich einmal mehr schwer. Joseph Kardinal Ratzinger ist als Benedikt XVI. der 264. Nachfolger des Apostels Petrus - und er ist ein Deutscher.
Wir haben einen Papst: Dieses »Wir« dürfte noch nie so universal und sogar über den Katholizismus hinausreichend nach einem Konklave um die Welt gegangen sein.
Benedikt, lateinisch: der Gesegnete, ist heute so in aller Munde, wie es bis vorgestern noch Johannes Paul II. gewesen ist. Damit ist der Anknüpfungspunkt klar. Maßstäbe der Superlative hat der Vorgänger gesetzt. Der Neue muss sie ausfüllen. Und obwohl diese Wahl das Erbe und die Einheit der Kirche gewährleistet, dürfte es dem 78jährigen Benedikt XVI. nicht leicht fallen, das große Format seines Bruders im Geiste zu füllen.
Kaum einer im Vatikan stand Johannes Paul II. inhaltlich so nahe wie Kardinal Ratzinger. Hierzulande als Inkarnation von Konservatismus, Dogmatismus und Strenge gesehen, wird er aus Sicht der Weltkirche eher geschätzt als ein Lordsiegel-Bewahrer der Reinheit des Glaubens. Das ist anderswo nicht so verdächtig. Als Präfekt der Glaubenskongregation war dies exakt seine Aufgabe, und er hat sie in der Tradition der 2000jährigen Kirche erfüllt.
Wer heute schon davon überzeugt ist, dass mit Benedikt XVI. jedwede Hoffnung auf Öffnung und Neuerung dahin sei, der sollte sich auf Überraschungen gefasst machen. Die Rufe nach Aufwertung der Frauen in kirchlichen Diensten, nach Debatten über den Zölibat und in Fragen der Ökumene sind auch im Vatikan nicht überhört worden.
Der neue Papst wird diesen Fragen nicht ausweichen, wohlbegründete Antworten geben und Engagement von seinen Gegnern fordern. Er leidet darunter, als Buhmann und stockkonservativer Kleriker gehandelt zu werden. Seine schärfsten Kritiker dürfen sich auf einen Disput mit dem vielleicht brillantesten Intellektuellen im gesamten Vatikan gefasst machen. Als geschliffenster Denker im katholischen Weltrund stehen Debatten, aber keine Machtkämpfe bevor.
Als Kardinal war Joseph Ratzinger häufiger und gern gesehener Gast in Paderborn. Dabei stand er auch dieser Zeitung spontan für inhaltsreiche Gespräche zur Verfügung. Sein enger Mitarbeiter Josef Clemens aus dem Erzbistum Paderborn, heute Bischof am apostolischen Stuhl, hat sich in seiner Entscheidung für Rom und gegen die Nachfolge von Johannes Joachim Degenhardt von Gott leiten lassen und vorausschauend gehandelt.
Übrigens: Exakt hinter dem Fenster, von dem aus gestern das »Habemus papam« ausging, stand am 21. Februar 2001 der ein Jahr später verstorbene Degenhardt, um die Glückwünsche zur Kardinalsernennung von Gläubigen und Politikern entgegen zu nehmen. Die Teilnahme am Konklave war dem Paderborner Oberhirten nicht mehr vergönnt. Dennoch fiel die Papstwahl wohl exakt in seinem Sinne aus.

Artikel vom 20.04.2005