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Jubelstürme und Verkehrschaos
prägten die ewige Stadt Rom

Neues Oberhaupt spricht »gut Italienisch« - Bruder kann's nicht fassen

Von Jutta Lauterbach, Thomas Lanig und Paul Winterer
Rom (dpa). Ausnahmezustand in Rom: Mit Hupkonzerten und Jubelstürmen haben die Menschen in Rom den neuen Papst Joseph Ratzinger gefeiert. Als gestern Abend sein Name vom Balkon des Petersdomes verkündet wurde, brandete frenetischer Beifall auf. Mehr als 100 000 Menschen drängten sich auf dem Petersplatz vor dem Dom.

Per Liveschaltung gingen die Bilder von dem hoch gewachsenen Deutschen mit den weißen Haaren um die Welt. Die Stimmen der Sprecher des italienischen Fernsehens schienen sich zeitweise zu überschlagen. Als eine Frau auf dem Petersplatz, eine Deutsche, zu einer kritischen Äußerung ansetzte, zog die italienische Journalistin das Mikrofon weg. Derartiges wollen die Menschen in Rom in dieser Stunde nicht hören.
Auf dem Petersplatz falteten die Menschen die Hände und schauten zum Balkon hoch. Viele lagen sich in den Armen, andere beteten den Rosenkranz und brachen in Tränen aus. »Es lebe der Papst, es lebe Benedikt XVI.«, rief die Menge.
Nach dem Segen Urbi et Orbi (Der Stadt und dem Erdkreis) brach die gewaltige Menschenmenge in stürmischen Beifall aus. »Viva Benedetto« riefen die Gläubigen in rhythmischem Chor. »Der Applaus explodiert«, beschrieb die italienische Nachrichtenagentur Ansa das Szenario.
Besonders laut war der Jubel, als Ratzinger in seinen ersten Worten auf der Loggia an seinen Vorgänger Johannes Paul II. erinnerte, den er einen »großen Papst« nannte. Er selbst bezeichnete sich bescheiden als »einfachen Arbeiter im Weinberg des Herrn«.
Der 78 Jahre alte Geistliche aus Bayern wirkte sehr bewegt. Am Ende blickte er aber mit einem Lächeln auf die Menschenmenge. Der italienische Fernsehkommentator versuchte vorauseilend seinen Landsleuten die Angst zu nehmen: »Er spricht gut Italienisch.«
Zu einem Star der besonderen Art war Ratzinger bereits in den vergangenen Wochen aufgestiegen. Vor allem seine Zeremonie der Totenmesse für Johannes Paul II. hatte die Menschen tief berührt. Viele trauen ihm am ehesten zu, nach den aufwühlenden Tagen wieder Ruhe in den Kirchenstaat zu bringen.
Der Bruder des neuen Papstes Benedikt XVI. wollte es bis zum Schluss nicht glauben. Prälat Georg Ratzinger war überzeugt: »Mein Bruder wird ganz bestimmt nicht Papst. Einem Mann in diesem Alter vertraut man keine so verantwortungsvolle Aufgabe mehr an«. Der langjährige Leiter der Regensburger Domspatzen sollte sich kräftig irren.
Seit dem Konklave hatte auch der 81-jährige Georg Ratzinger keinerlei Kontakt mehr zu seinem Bruder. Er war auf die Medien angewiesen und blickte gestern gebannt auf den Fernseher. Normalerweise telefonierten die beiden fast täglich miteinander, seit Joseph Ratzinger 1982 als Präfekt der Glaubenskongregation nach Rom ging. Die Brüder waren seit ihrer Kindheit eng miteinander verbunden. Bis zu deren Tod 1991 galt dies auch für Schwester Maria, die dem »Nesthäkchen« Joseph auf allen Stationen folgte und den Haushalt führte.
Die Brüder besuchten noch vor dem Zweiten Weltkrieg das Erzbischöfliche Knabenseminar in Traunstein, die »Kaderschmiede« für angehende Priester. Beide studierten danach Theologie, beide wurden am 29. Juni 1951 in Freising zu Priestern geweiht.
Danach trennten sich die beruflichen Wege. Joseph Ratzinger verfolgte seine Karriere als Kirchenlehrer konsequent und wurde mit nicht einmal 30 Jahren Professor. Georg studierte zusätzlich Kirchenmusik und war seit 1964 Domkapellmeister in Regensburg. 1965 fuhr er mit den Domspatzen zum Vatikanischen Konzil nach Rom. Vor 2000 Bischöfen dirigierte er im Petersdom den ältesten Knabenchor der Welt. Dort traf er seinen Bruder Joseph: Der junge Professor war als Konzilsberater in der »Ewigen Stadt«.
Wann immer es ging, hielten die Geschwister Kontakt. »Mein Bruder kommt jedes Jahr etwa vier Mal für mehrere Tage zu mir«, berichtet der Ältere. Nichts wünscht er sich zum Lebensabend mehr als regelmäßige Wiedersehen mit seinem prominenten Bruder. Das dürfte nach der Wahl zum Papst schwer werden.

Artikel vom 20.04.2005