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Leser spenden Holzkohle für 5000 Familien

Aus dem Sudan berichtet
Reinhard Brockmann
Kutum (WB). Die Hilfe liegt auf einem gewaltigen Haufen in der unerbittlichen Sahara-Sonne: schwarz, schmutzig, in löchrigen Säcken. Es ist Holzkohle für 5000 Flüchtlingsfamilien, gespendet von WESTFALEN-BLATT-Lesern zugunsten der Menschen in Darfur. Sie sind die Opfer der laut UN-Generalsekretär Kofi Annan »größten humanitären Katastrophe der Gegenwart« - und sie sind einem Völkermord entkommen.

»Wir sind den Spendern aus Bielefeld und ganz Ostwestfalen-Lippe sehr dankbar«, sagt Johan van der Kamp, Chef der Deutschen Welthungerhilfe (DWHH) im Sudan. »Mit diesem Teil des Erlöses der WESTFALEN-BLATT-Weihnachtsaktion 2004 unterstützen wir den Ofenbau im Lager Kassab.« Kohle erhält nur, wer beim Bau der Energiesparer mitmacht.
Die Frauen, oft Witwen mit vielen Kindern, formen aus Lehm und Ton kleine Öfen passend zum oft einzigen Topf, den sie besitzen. In der Erdform kann mit halb soviel Reisig wie ohne die Lehmhülle oder mit nur ganz wenig Holzkohle gekocht werden. Unter Anleitung von Flüchtlingsfrauen wie der jungen Asis Mahmud Abdallah fertigen und verzieren die Frauen das neue Prachtstück für ihre primitiven Hütten rundum.
Die Hilfe zur Selbsthilfe leitet Jassir Muhammad Adam (46). Nachdem 5000 Frauen mitgemacht haben wird das gesamte Projekt jetzt auf 20 000 aufgestockt. Jassir und seine regionale Partnerorganisation KAEDS könnten eines Tages, wenn Nothilfe mehr erforderlich ist, alle Aktivitäten der DWHH in Dafur fortführen. Aber bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Trotz Waffenstillstands können Hunderttausende nicht aus den Lagern heraus und einfach in ihre Dörfer zurückkehren.
Bleierne Angst habe auf den Gesichtszügen von 100 000 Flüchtlinge gelegen, die sich im vergangenen Jahr in die Oase Kutum in Nord-Darfur gerettet hatten, erinnert sich van der Kamp an seinen ersten Besuch. Vergangene Woche finden wir bei unserem Eintreffen mitten im Lager gut 100 Frauen in geschwätziger Eintracht unter einem Baum hockend. Sie stillen Babys, trinken Tee oder ritzen schöne Muster in irdene Rohlinge, bevor die neuen Öfen in der 50 Grad heißen Sonnenglut unter Planen fünf Tage aushärten.
Trügerische Idylle. Der Besuch aus Deutschland war absehbar nicht aber, dass Stunden zuvor die gefürchteten Janjaweed-Reitermilizen nur 1500 Meter außerhalb des Lagers einen Holzsammler erschossen, zwei entführt und eine Frau »geschlagen und weggejagt« hatten. In der streng islamischen Gesellschaft kann letztere Formulierung auch bedeuten, dass die Frau geschändet wurde und für alle Zeit ihre Würde verloren hat.
Die Milizen sind Hilfstruppen der sudanesischen Armee. Auf Kamelen und Pferden, mit Schnellfeuergewehren ausgerüstet, ziehen sie raubend und mordend durch die Dörfer.
Die Flüchtlinge hausen unvorstellbar primitiv unter Reisig, Plastik und Müll aller Art. Holz und Schilf gibt es schon lange nicht mehr. Immerhin haben Hilfsorganisationen Wasserstellen und Latrinen angelegt. »Wir werden Tausende von Häusern bauen, aber nicht hier«, sagt Regionalkoordinator van der Kamp.
Die Welthungerhilfe hofft auf eine Stabilisierung der immer noch gespannten Lage und möchte die Menschen mit dem Bau fester Häuser in ihre alten Siedlungsgebiete zurückholen. Nur dort können sie wieder Getreide anbauen und selbstständig werden. Denn jeder einzelne der derzeit 20 000 Menschen allein im Lager Kassab ist zu 100 Prozent auf die Versorgung von außen angewiesen. Bald zwei Millionen Flüchtlinge sind angewiesen auf die gewaltige »Pipeline« der Lebensmittelhilfe, die über 2300 Kilometer von Port Sudan am Roten Meer bis in die Wüsteneien am anderen Ende des Landes reicht, das zwölfmal so groß wie Deutschland ist. Anders: Würde die gigantische Versorgungsmaschinerie unterbrochen, der eigene Staat ließe die Menschen unversorgt.
Hunger als Waffe. Die Militärregierung in Khartoum unterstellt den Darfuris, sie wollten sich abspalten, sich dem benachbarten Tschad anschließen. »Das Land der Fur« war viele Jahrhunderte ein Königreich. Es schloss sich nach außen so vollkommen ab, wie hier jedes Haus eine große Mauer um sich hat. Immer schon wurden die Fur von den Stämmen am Nil als Sklaven gejagt und um Kupfer wie Leopardenfelle beraubt. Ganze Expeditionen europäischer Abenteurer kamen im 19. Jahrhundert nie zurück. Selbst der furchtlose Alfred Brehm, der fünf Jahre durch den Sudan reiste, lehnte 1852 eine Einladung an den Hof von El Fasher ab, »weil ich alle Ursache habe zu glauben, dass mir dann das unvermeidliche Schicksal der Europäer, die dort hinkommen, bevorstünde.«
Heute hält der Zentralstaat die Provinz von der Größe Frankreichs weitgehend unter Verschluss. Ingeborg Schäuble, die Vorsitzende der DWHH, gelang es im Sommer 2004 erst nach langen diplomatischen Bemühungen, die Blockade zu durchdringen. Seitdem gibt es für Nothelfer einige Lockerungen.
Die Deutschen sind seit den 80er Jahren in El Fasher und Kutum präsent. Als 2003 der Krieg in diesem Landesteil ausbrach, wurde blitzschnell von langfristiger auf Soforthilfe umgestellt. Derzeit werden allein in Nord-Darfur von den Basen Kutum und Al Fasher aus monatlich bis zu 180 000 Menschen versorgt. Wie in der Ausgabe vom 23./24. April berichtet, wird die Versorgung weiterer 100 000 Menschen in den nur schwer erreichbaren Rebellengebieten gerade eingeleitet.

Artikel vom 27.04.2005