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Müntefering reißt Gräben auf

Arbeitgeber und Union kritisieren: Schädlich für Standort Deutschland

Berlin (dpa). In der Debatte über die »Macht des Kapitals« reißen Gräben zwischen SPD und Gewerkschaften auf der einen und Opposition und Wirtschaftsverbänden auf der anderen Seite auf.

Arbeitgeber und Unions-Politiker bezeichneten die Kritik, die von SPD-Chef Franz Müntefering begonnen und führenden SPD-Politikern aufgegriffen worden war, gestern als »außerordentlich schädlich« für den Standort Deutschland. Gewerkschaften und SPD übten dagegen nach ihren Differenzen zur Agenda 2010 den Schulterschluss.
Müntefering hatte in den vergangenen Tagen mehrfach eine »wachsende Macht des Kapitals« kritisiert. Der Staat müsse Rahmen setzen können gegen Unternehmen, die rücksichtslos »rausholen, was rauszuholen ist«.
Finanzminister Hans Eichel (SPD) versuchte, die aufgebrachte Wirtschaft zu beruhigen. Zwar kritisierte er Finanzinvestoren, die nur auf kurzfristigen Gewinn aus seien. Dabei handele es sich aber um Einzelfälle. Die Wirtschaft solle die Kritik nicht als eine gegen sie gerichtete Debatte begreifen, sondern als Diskussion um Einzelfälle.
Für Wirbel sorgte der indirekte Boykott-Aufruf der stellvertretenden SPD-Chefin Ute Vogt. Sie hatte Verbraucher dazu aufgefordert, das Verhalten von Unternehmen zu beachten, wenn diese sich lediglich durch Personalabbau sanieren. Unternehmen müssten sich ihrer Verantwortung stellen. »Käufer haben manchmal mehr Macht als sie denken«, sagte Vogt.
Ein solcher Aufruf führe »zu einer weiteren Polarisierung«, kritisierte Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt. Der Sprecher des Hauptverbandes des Deutschen Einzelhandels, Hubertus Pellengahr, sagte, Boykottaufrufe würden der gesamten Wirtschaft schaden.
Nahezu übereinstimmend kritisierten die Wirtschaftsverbände wie der Bundesverband der Deutschen Industrie und der Bundesverband des Groß- und Außenhandels die Aussagen Münteferings als »Wahlkampfrhetorik«. »Die SPD verspielt im Wahlkampfrausch deutsche Arbeitsplätze«, erklärte der BDI-Hauptgeschäftsführer, Ludolf von Wartenberg.
Unterstützt wird die Wirtschaft in ihrer Kritik von der Union und der FDP. Nach Meinung der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel wird Müntefering »die Geister, die er rief« nicht mehr los, wenn jetzt aus der SPD ein Boykott der Unternehmen gefordert werde.
Die Unionsfraktion im Bundestag bezeichnete Münteferings Äußerungen als »übles Geschäft mit der Angst der Menschen«. Diese »parteipolitisch auszunutzen, ist das moralisch Niederste, was ein Politiker tun kann«, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Norbert Röttgen (CDU). CSU-Landesgruppenchef Michael Glos meinte, die SPD verspiele mit der Kritik ihre Glaubwürdigkeit.
SPD und Gewerkschaften unterstützen die Kritik. DGB-Chef Michael Sommer: »Der SPD-Vorsitzende hat nur Selbstverständliches ausgesprochen: Die Wirtschaft hat über Jahrzehnte immer neue Geschenke von der Politik eingestrichen - die dafür versprochenen Arbeitsplätze aber nie geliefert.« Die IG Metall verlangte, die Manager deutscher Unternehmen stärker in die Pflicht zu nehmen.
Die SPD-Linke sieht in der Wirtschaftsdebatte eine Antwort auf die in der Bevölkerung weit verbreitete »Wut« über die Profitgier von Unternehmen und ihrer Verbände. Nach den Steuersenkungen und der Begrenzung der Lohnnebenkosten sei es an der Zeit, dass die Wirtschaft dies mit mehr Arbeitsplätzen honoriere, sagte die Sprecherin der Parteilinken, Andrea Nahles.
Die Grünen warnten vor einer Ideologisierung in der Debatte über Auswüchse des Kapitalismus. Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt sagte, es dürften keine neuen »ideologischen Barrieren« aufgebaut werden.

Artikel vom 20.04.2005