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Opfer eines Überfalls

Vorjahressiegerin Iris Reuter musste viel verkraften

Von Hans Peter Tipp
Bielefeld (WB). Weniger höfliche Menschen würden von einem schwarzen Jahr sprechen. Dr. Iris Reuter, die Titelverteidigerin beim Hermannslauf am Sonntag, bedient sich einer gewählteren Ausdrucksweise. »Ich denke, dass ich nicht ganz so gut in Form bin wie vor einem Jahr«, sagt sie.

Das behaupten viele Aktive vor dem Start, doch die 43 Jahre alte Neurologie-Oberärztin des Krankenhauses der Justus-Liebig-Universität in Gießen hätte nun wirklich allen Grund zur Klage. Nicht genug damit, dass sie im Winter wegen einer Hand-Operation zwei Monate nicht trainieren durfte.
Anfang März wurde Iris Reuter in ihrer Heimatstadt Offenbach an einer S-Bahn-Station sogar überfallen. Dabei wurde die Medizinerin so schwer getreten und geschlagen, dass sie sich mit drei gebrochenen Rippen in ärztliche Behandlung geben musste. Doch schlimmer als die körperlichen Spuren waren die seelischen: »Ich war psychisch richtig geschockt.« Inzwischen habe sie sich aber, so sagt sie, von diesem Trauma erholt: »Jetzt geht es wieder.«
Dennoch ist das Sportliche bei der ehemaligen 100 km-Weltklasseläuferin deshalb in den Hintergrund getreten. Aber abgesehen von Verletzungen und Operationen gibt es auch berufliche Gründe, die Iris Reuter derzeit von zeitraubenden Trainingseinheiten abhalten. »Ich will habilitieren. Das ist natürlich mit einem großen Arbeitsaufwand verbunden.«
Zudem ist sie federführend an einem Projekt ihrer Klinik mit dem Soemmering-Institut in Bad Nauheim beteiligt. Die Hermannslaufsiegerin muss nicht nur planen und forschen, sondern ist auch für die Finanzierung verantwortlich. In zweieinhalb Jahren sollen Wechselwirkungen zwischen der Parkinson'schen Krankheit und altersbedingten Begleiterscheinungen untersucht werden.
Auch heute nimmt sie noch an einem Parkinson-Symposium teil, bevor sie nach Bielefeld kommt, um am Sonntag zum zweiten Mal die »einfach schöne Atmosphäre dieses Laufes« zu genießen. Immerhin hat der Ausflug nach Bielefeld nicht nur sportliche Gründe. Ihr Lebensgefährte ist Martin Engelhardt, Orthopädie-Chef des Städtischen Krankenhauses. Auch er ist übrigens beim »Hermann« am Start.
Iris Reuter ist trotz ihres Trainingsrückstandes aber rechtzeitig in Form gekommen. Vor einer Woche lief sie, erstaunlich genug, noch einen Halbmarathon. Bei den hessischen Meisterschaften belegte sie in 1:22:40 Stunde den zweiten Platz. »Vor einem Jahr war ich zwei Minuten schneller. Aber es war auch eine andere Strecke«, sagt sie. Am Sonntag wäre sie mit einem Platz unter den ersten Drei zufrieden. »Herschenken werde ich meinen Titel nicht«, verspricht sie. Aber sie will auch locker bleiben. Schließlich gibt es sehr viel Wichtigeres als den Sport.

Artikel vom 22.04.2005