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10 Millionen ohne Arbeitsplatz

Eine redliche Betrachtung stellt alle Rekordzahlen noch in den Schatten

Von Rolf Dressler
Bielefeld (WB). Nach der politisch so gewollten »bereinigten« Statistik sind in Deutschland im Februar 5,27 Millionen Menschen ohne Beschäftigung. In Wahrheit aber fehlen fast zehn Millionen Arbeitsplätze, also nahezu doppelt so viele, wie die Arbeitsämter - neuerdings »Agenturen für Arbeit« - in ihrem Bestand aktuell auflisten.
Die Realität kennt andere Probleme. Aber das 35 Jahre alte Logo der Bundesagentur für Arbeit soll »aufgefrischt« werden. 100 000 Euro für das neue Markenzeichen liegen jedenfalls bereit..Foto: dpa
Dieses Vernebelungsspiel mit falschen Zahlen wurde von sachkundiger Seite zwar immer wieder nachdrücklich kritisiert, geändert hat sich jedoch nichts. Dabei sind die tatsächlichen Daten jedermann problemlos zugänglich. Diese Zeitung hat die Probe aufs Exempel gemacht. Hier ist das konkrete Ergebnis. Es dokumentiert das wirkliche Ausmaß der Arbeitsmarkt-Katastrophe 2005:
Bereits für den Monat Januar 2005 meldete die Nürnberger Bundesagentur für Arbeit 5,037 Millionen Arbeitslose - 537 000 bzw. 12,7 Prozent mehr als noch im Dezember 2004. Zum ersten Mal seit dem Mai 1933, gleich nach Adolf Hitlers sogenannter Machtergreifung, wurde damit die 5- Millionen-Marke überschritten.
Nur 220 000 der 537 000 ließen sich auf »Hartz IV« zurückführen, also auf die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe. 317 000 verloren mithin zusätzlich ihren Broterwerb.
Laut Sachverständigenrat der Bundesregierung müssen desweiteren etwa 1,6 Millionen »verdeckt« Arbeitslose hinzugerechnet werden; nämlich rund eine Million »Vorruheständler« sowie mehrere hunderttausend Arbeitsplatzsuchende, die vorübergehend in Arbeitsbeschaffungs- und Weiterbildungsmaßnahmen, Umschulungen etc. untergebracht bzw. »geparkt« sind. Schlägt man auch diese eigentlich Arbeitslosen korrekterweise der amtlichen Statistik hinzu, summiert sich die Gesamtzahl bereits auf 6,6 Millionen.
Auf weitere 1,9 Millionen veranschlagt das staatliche Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg die so- genannte »stille Arbeitsmarktreserve«. Sie umfasst Menschen, die schon ohne Arbeit sind, angesichts der anhaltend angespannten Wirtschafts- und Arbeitsmarktlage letztlich aber die Hoffnung aufgegeben haben, überhaupt noch einmal eine feste und dauerhafte Beschäftigung zu finden.
Selbst bei möglichen »Überlappungen« mit der »verdeckten« Arbeitslosigkeit addierte sich die tatsächliche Gesamtarbeitslosigkeit in Deutschland somit schon beim Stand Januar 2005 auf mindestens acht Millionen.
Schließlich klettert die Zahl der sogenannten Mini-Jobs rasant. Inzwischen liegt sie schon deutlich über 500 000. Bereits im Januar 2005 waren deshalb von den insgesamt 38,961 Millionen Erwerbstätigen nur noch 26,748 Millionen sozialversicherungspflichtig be-schäftigt. Tendenz weiter fallend, weil selbst nach optimistischer Schätzung nur jeder dritte »Mini-Jobber« darauf rechnen darf, seine jetzige Tätigkeit stabil und auf Dauer ausüben zu können.
Auch in dieser, wie Fachleute sagen, »Verlegenheitslösungs-Gruppe« gibt es demnach zwischen einer und zwei Millionen Menschen, die letztlich wohl vergeblich auf ein festes berufliches Anstellungsverhältnis hoffen.
Damit errechnet sich bei rückhaltlos redlicher Betrachtung ein aktueller Gesamtbestand von zehn Millionen Beschäftigungslosen in Deutschland.
Folglich müssen knapp 39 Millionen Berufstätige, von denen schon heute ohnehin nur noch knapp 27 Millionen sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind, real fast zehn Millionen Menschen ohne feste Beschäftigung den Unterhalt und mithin das Existenzminimum sichern helfen.
Bereits jetzt müssen aus dem Bundeshaushalt, also aus dem Steuersäckel, fast 90 Milliarden Euro jährlich für die Zahlung der Arbeitslosengelder aufgewendet werden. Zugleich verliert die deutsche Volkwirtschaft jedes Jahr rechnerisch mindestens 240 Milliarden Euro an sogenannter Wertschöpfung. Diese nämlich würde erbracht, wenn die heute beschäftigungslosen nahezu zehn Millionen Menschen in bezahlter Arbeit stünden.
Dazu auch der Leitartikel

Artikel vom 27.04.2005