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Hitlistenbetrug auch
im Handel mit Literatur

Harenberg-Verlag hält Liste mit 350 Buchläden geheim

Von Dietmar Kemper
Dortmund (WB). Bestsellerlisten werden nicht nur in der Musikindustrie manipuliert. »Auch unter Autoren und Verlagen sind Betrugsfälle möglich«, sagte Christoph Ostermann vom Harenberg-Verlag in Dortmund gestern dieser Zeitung.

Wie bereits berichtet, soll der Produzent der deutschen Grand-Prix-Teilnehmerin Gracia sowie der Pop-Gruppen Vanilla Ninja und Virus Incorporation, David Brandes, über Strohmänner gezielt CDs aufgekauft haben, um seine Schützlinge in der Verkaufshitparade auf vordere Plätze zu hieven.
Auffälligkeiten gibt es auch im Buchhandel. »Wenn wir ein unnatürliches Kaufereignis feststellen, wird der Titel rausgerechnet«, erklärte Ostermann vom Harenberg-Verlag. Innerhalb der Fachzeitschrift »buchreport« ist er zuständig für die Ermittlung der »Spiegel-Bestsellerliste«. Dazu werden jede Woche die in 350 Buchhandlungen verkauften Titel ausgewertet und daraus die Liste der 50 meistverkauften erstellt.
»Die Liste mit den Buchhandlungen geben wir nicht preis«, betonte Ostermann. Anhand der ISBN-Nummer lässt sich ermitteln, wo das jeweilige Buch verkauft wurde. Gibt es eine auffällige Häufung, haken die Kontrolleure nach. »Wir untersuchen, ob in dem Ort gerade eine Autorenlesung stattfand oder die Volkshochschule Seminare zu einem Schriftsteller angeboten hat«, sagte Ostermann. Bestätigen sich die Annahmen, sei alles in Ordnung. Falls nicht, werden die Verkaufszahlen der plötzlich stark nachgefragten Titel mit dem Absatz in anderen Teilen Deutschlands verglichen.
Gezieltes Aufkaufen fällt im Buchhandel schneller auf als in der Musikindustrie. Das hängt mit der Struktur zusammen: Während das Musikgeschäft von Ketten wie Media Markt und Saturn beherrscht wird und das systematische Puschen einzelner Titel bei den gewaltigen Absatzzahlen nicht sofort ins Auge springt, gibt es im Buchhandel neben den Ketten wie Thalia und Hugendubel noch viele kleinere Läden. Bei der Auswertung von deren Verkaufszahlen sind Manipulationsversuche schneller zu erkennen. Bahnhofsbuchhandlungen zieht Ostermann übrigens nicht zur Ermittlung der Spiegel-Bestsellerliste heran. Nicht weil er dort Betrug vermutet, sondern weil diese Buchhandlungen gezielt auf Verkaufsschlager setzen und die Auswertung das Ergebnis verfälschen würde.
Trotz des Hitparadenbetrugs in der Musik sieht Ostermann keinen Handlungsbedarf: »Wir halten unsere Kontrollen für ausreichend und haben keine verschärften Sicherheitsmaßnahmen eingeführt.« Die Leiterin des Literatur-Büros OWL, Brigitte Labs-Ehlert, sprach sich gestern dafür aus, Hitlisten mehr an der Qualität als an Verkaufszahlen auszurichten. Ein gutes Beispiel sei die Bücherliste des Südwestrundfunks SWR, bei der eine unabhängige Jury die Güte der Bücher beurteile. Im Gegensatz zu Gold- und Platin-CDs würden Literaturpreise aufgrund des Niveaus der Bücher und nicht wegen der Verkaufszahlen vergeben, sagte Labs-Ehlert dieser Zeitung. Dass auch Literaturpreise geschönt sind, zeigt ein Beispiel in Argentinien, über das die »Frankfurter Allgemeine Zeitung« am Freitag berichtete. Demnach erhielt der Schriftsteller Ricardo Piglia vor acht Jahren den Planeta-Preis. Hinterher habe sich herausgestellt, dass der Planeta-Verlag einen Autor auszeichnete, den er statutwidrig bereits mit anderen Büchern unter Vertrag hatte. Literaturpreise seien »kalkulierte Werbeaufwendungen«, um den Absatz anzukurbeln, so die FAZ.

Artikel vom 19.04.2005