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Leitartikel
SPD und der Kapitalismus

Franz reitet
an der Seite
von Quichote


Von Bernhard Hertlein
Der Genosse an sich hat's zur Zeit nicht leicht. Lange war es gewohnt, die arbeitgeberfreundliche Politik der Anderen zu geißeln. Doch stattdessen muss er jetzt seit einiger Zeit selbst Einschnitte ins soziale Netz rechtfertigen. Versprochen wurde ihm dafür von »seiner« Bundesregierung, dass die zugemuteten Opfer die Konjunktur und vor allem den Arbeitsmarkt beleben würden. Nur, die Erfüllung des Versprechens zieht sich hin, und in der Zwischenzeit geht eine Wahl nach der anderen für die SPD verloren.
Zusätzlich geschunden wird die sozialdemokratische Seele durch Kritik von links -Êvon der PDS im Osten, von Oskar Lafontaine sowie der »Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit« im Westen. Selbst die CSU scheint in manchen Stellungnahmen die Genossen an der Außenlinie überholen zu wollen. Kein Wunder, dass die Stimmung schlecht ist und die NRW-Wahl von SPD-Mitgliedern teilweise schon verloren gegeben wird.
In solchen Augenblicken schlägt normalerweise die Stunde des Parteivorsitzenden. Und wirklich lässt »der Franz« nicht lange auf sich warten. Aber statt vorneweg zu galoppieren, steigt Müntefering zuerst einmal hinab in die staubigen Tiefen des Klassenkampf-Archivs. Einen alten Klepper holt er dort hervor, würdig nicht mal eines Don Quichote. Als dieser könnte vielleicht noch Lafontaine gelten. Für »Münte« aber bleibt, so wie er sich in den vergangenen Tagen mit seinen beiden Tiraden gegen »die«ÊKapitalisten präsentiert hat, allenfalls die Rolle des Sancho Pancha.
Damit das klar ist: Man muss nicht Kommunist sein, um Josef Ackermanns Gewinnvorstellung für überzogen und die gleichzeitig bekanntgegebenen Entlassungen bei der Deutschen Bank für unsozial zu halten. Und man kann sich auch als Nicht-Genosse von den ständigen neuen Forderungen der Arbeitgeberverbände nach weiteren Einschränkungen bei den Lohnabhängigen genervt fühlen.
Doch so wie Franz Müntefering »das Kapital« als anonym und gesichtslos beschreibt und Investoren mit Heuschreckenschwärmen gleichsetzt, bedient er sich eines Vokabulars, dem er und andere ehemalige Jungsozialisten bis hin zum jetzigen Bundeskanzler doch längst abgeschworen hatten. Wie will »Münte« nach der NRW-Wahl dem Volk eigentlich erklären, dass man die angeblichen Schädlinge doch nicht ausmerzen möchte, sondern nach wie vor braucht, um auf dem deutschen Arbeitsmarkt noch irgendetwas zu bewegen?
Das ist das Schlimme an solchem unwahrhaften, perspektivlosen Getöse: Die Bürger fühlen sich noch mehr von der Politik abgeschreckt. Den Riesenspagat zwischen Gerhard Schröder, dem »Genossen der Bosse«, der die Unternehmenssteuern weiter senken will, und dem vorgeblichen Raubtierkapitalismus-Dompteur Franz Müntefering steht kein Sozialdemokrat durch - und erst recht kein Wähler.
Man muss es auch nicht. Nach der Wahl ist alles vergessen.

Artikel vom 19.04.2005