23.04.2005
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Aus Granit erbaut ist auch Tempio Pausania, Verwaltungszentrum der Gallura und einzige Stadt, die Touristen etwas zu bieten hat. Eine Stunde reicht allerdings aus, um die Altstadt zu durchwandern und auch die Kunstausstellung in der Tourist-Information zu sehen. Budduso mit seinen zahlreichen Granitskulpturen ist da schon etwas interessanter.
Von Tempio aus schlängelt sich eine atemberaubende Serpentinenstraße auf das Limbara-Massiv. Dass Militär sowie Rundfunktechnik den Gipfel mit einem Antennen zugepflastert haben, ist schade, denn die Granitformationen sind ebenso spektakulär wie die Aussicht über den gesamten Norden Sardiniens - an klaren Frühlings- und Herbsttagen geht die Sicht sogar bis Korsika.
Calangianus ist das Zentrum der Korkindustrie. Der etwas trist wirkende Ort liegt inmitten ausgedehnter Korkeichenwälder, die sorgsam eingezäunt sind. Bis in etwa drei Meter Höhe wird der Stamm geschält, die Korkfladen lagern auf den Industriehöfen der Umgebung in großen Mengen. Später dient der Kork als Fußboden oder Weinflaschenverschluss. A propos Wein: Sardische Winzer haben in den vergangenen Jahren vieles nachgeholt, denn es hat sie mächtig gewurmt, dass besonders die Touristen stets Weine vom italienischen Festland orderten. Heute gilt dies in den Restaurants der Insel als großer Fauxpas, denn die Weine Sardiniens können mit den guten Tropfen vom Kontinent durchaus mithalten.
Rau ist das Bergland im mittleren Nordosten Sardiniens, ebenso wie der Menschenschlag. Nicht ganz zu Unrecht wird die Gegend um Orgosolo Region der Barbaren genannt. Das Dorf mit einer hohen Analphabeten-Quote ist in ganz Italien bekannt, steht es doch wie ein Symbol des Widerstands der sardischen Ureinwohner gegen den verhassten italienischen Staat.
Orgosolo dient Ethnologen als Forschungsstätte, denn bis ins späte vergangene Jahrhundert hat sich dort eine archaische Gesellschaftsstruktur erhalten, die von starken sozialen Gegensätzen, Räuberwesen, Unbeugsamkeit und Lynchjustiz bis hin zur Vendetta (Blutrache) gekennzeichnet ist. Junge Schäfer lebten als Gesetzlose in den Bergwäldern, weil sie nur durch kriminelle Handlungen zu Geld kommen konnten.
Als die Kinder des TV-Journalisten Dieter Kronzucker in der Toskana entführt wurden, brachten die Kidnapper sie in die nur schwer zugängliche Bergregion des Supramonte, auch ein verschlepptes Mitglied der Getty-Dynastie wurde dort gefangen gehalten.
Noch heute wirkt Orgosolo düster und finster, es fallen aber auch die in ihrer stolzen Tradition verhafteten Frauen des Dorfes auf. Besucher, die heute aber angstfrei durch die Region reisen können, sollten auf die ältesten Behausungen, so genannte »fughiles« achten - und auf die Wandmalereien, die von der problematischen sozialen Geschichte des Dorfes künden. Und gut möglich, dass einige der alten Männer, die man im Dorf sieht, früher als Banditen von der Justiz verfolgt wurden und sich monatelang in der Wildnis versteckt hielten.
Nirgends wird so wie in Orgosolo deutlich, dass die Sarden alles, was über die See auf die Insel kommt, als Bedrohung einordnen. Die italienische Regierung hat es auch mit brutaler Unterdrückung bis in die 80er Jahre nicht geschafft, sich völlig durchzusetzen.
Dass das Dorf heute im Vergleich zu früher geradezu offen und gastfreundlich wirkt, ist ein Zeichen des Tourismus. Immerhin führen die Nachfahren der einstigen Banditen heute Wanderer in die abgelegene Schönheit des Supramonte und erzählen schauerliche Geschichten aus gar nicht lange vergangenen Zeiten.
Artikel vom 23.04.2005