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Hand verletzt:
Unternehmer
haftet nicht

Arbeitsunfall beim Bäumeschneiden

Von Christian Althoff
Löhne (WB). Ein Arbeiter aus Löhne (Kreis Herford), dessen rechte Hand nach einem Betriebsunfall verkrüppelt ist, hat keine Ansprüche gegen seinen Chef - obwohl dieser den Unfall durch gröbste Fahrlässigkeit verursacht hatte. Das Landesarbeitsgericht in Hamm wies die Klage des Arbeiters mit Hinweis auf das Sozialgesetzbuch ab.

Der Inhaber einer Möbelfirma hatte den Lagerarbeiter gebeten, ihm beim Zurückschneiden der Obstbäume auf dem Firmengelände zu helfen. Dazu befestigte der Chef ein Brett auf dem Ausleger eines Gabelstaplers, auf das sich der Mitarbeiter mit einer Astschere in der Hand setzte.
Als der Mann in etwa zwei Metern Höhe einen Baum stutzte, passierte es: Der Firmeninhaber rangierte mit dem Gabelstapler, der Mitarbeiter schwankte auf seiner Planke und griff nach hinten, um sich festzuhalten. Dabei geriet er in die Hubmechanik der Gabel, die sich gerade bewegte und die rechte Hand einquetschte.
Operationen, Aufenthalte in Reha-Kliniken - mehr als zwei Jahre war der Lagerarbeiter arbeitsunfähig. In den ersten sechs Wochen war ihm noch sein Lohn gezahlt worden, dann überwies ihm die Berufsgenossenschaft nur noch 70 Prozent seines Verdienstes. Die Differenz, etwa 500 Euro pro Monat, versuchte der Arbeiter bei dem Firmeninhaber einzuklagen - vergeblich. In zweiter und letzter Instanz entschied jetzt das Landesarbeitsgericht, dass Arbeitgeber nach dem Sozialgesetzbuch nur dann haftbar gemacht werden können, wenn sie einen Unfall vorsätzlich herbeiführen, und das sei nicht der Fall gewesen. Der Anwalt des Klägers: »Dieses Gesetzesvorschrift ist sehr weitreichend. Selbst, wenn ein Betriebsleiter weiß, dass eine bestimmte Sicherheitseinrichtung defekt ist und er sie nicht reparieren lässt, erwachsen einem Mitarbeiter daraus im Falle eines Unglücks keine Ansprüche.« Dabei sei es unerheblich, ob sich ein Unfall bei der eigentlichen Tätigkeit eines Mitarbeiters ereigne oder bei einer arbeitsfremden Beschäftigung, wie etwa dem Bäumeschneiden: »Alles, was auf einem Firmengrundstück passiert, gilt als Arbeitsunfall«, sagte der Anwalt.
Vor dem Arbeitsgericht hatte der Rechtsanwalt noch versucht, seinem Mandanten mit Hilfe des Bürgerlichen Gesetzbuches zu einem Erfolg zu verhelfen: »Dort heißt es nämlich in Paragraph 326, dass jemand seinen Anspruch auf Arbeitslohn behält, wenn er ohne eigene Schuld gehindert ist, seine Arbeit zu erbringen.« Die Richter waren jedoch der Auffassung, dass die Vorschrift des Sozialgesetzbuches nicht durch das Bürgerliche Gesetzbuch eingeschränkt werden dürfe. Sie wiesen die Klage ab und ließen eine Revision nicht zu.
Für den Lagerarbeiter hat die Geschichte doch noch einen halbwegs glücklichen Ausgang: Möglicherweise von Gewissensbissen geplagt hat sich der Firmeninhaber bereiterklärt, den Mann weiterzubeschäftigen - trotz seiner steifen rechten Hand.
Ein strafrechtliches Verfahren gegen den Unternehmer wegen Körperverletzung war übrigens schon vor geraumer Zeit gegen Zahlung einer Geldbuße eingestellt worden.

Artikel vom 23.04.2005