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Bach war ein Flop,
Vivaldi hingegen top

Nigel Kennedy erst nach der Pause in Hochform

Von Thomas Albertsen
Bielefeld (WB). Neben den Universalgenies haben in der zeitgenössischen Musik auch Spezialisten die Chance, zu Kultstars aufzusteigen. So wie André Rieu mit Walzern von Johann Strauß die Herzen seiner Fans erobert, hat sich Nigel Kennedy als Vivaldi-Interpret einen Namen gemacht.
Geigen-Punk Nigel Kennedy. Foto: Reuters

Und so hätte es eigentlich gereicht, zum Auftakt der Deutschland-Tournee des britischen Geigen-Punks in der Bielefelder Stadthalle erst nach der Pause den Saal zu betreten. Denn zum Auftakt gab es drei Konzerte von Johann Sebastian Bach, die seelenlos und phasenweise gar rustikal aufgeführt wurden. Zwar hatten sich Kennedy und sein polnisches Kammerorchester für das Publikum hörbar mit Schlachtrufen der Einigkeit auf die Premiere eingestimmt, die Darbietung auf der Bühne wirkte aber eingangs wie schlecht geprobtes Warmspielen. Es half auch nichts, dass der unkonventionelle Geiger seine Kollegen als »Clint Eastwood«, »Captain Picard«, »Kylie Minogue« oder »Sherlock Holmes« vorstellte und mit jamaikanischem Gruß sogar die erste Publikumsreihe persönlich begrüßte. Erst die Wiederholung des dritten Satzes aus dem Doppelkonzert in d-moll für zwei Violinen ließ den Funken ein wenig überspringen. Doch dann zogen sich die Musiker in die Pause zurück.
Wer nun allerdings enttäuscht nach Hause ging, verpasste viel. Wie ausgewechselt kamen die Künstler zurück auf die Bühne und brannten mit vier Vivaldi-Konzerten, nur unterbrochen von Kennedys Eigenkomposition »Melody In The Wind« aus dem Konzeptalbum »Kafka«, ein wahres Feuerwerk ab. Ob festliche Klangpracht, klare Al-fresco-Wirkung, einfach und doch edel anmutende Passagen: Nigel Kennedy brachte jede Nuance virtuos zur Geltung. Die in Vivaldis Werk typische betonte Gegensätzlichkeit von Tutti und Soli lebte er geradezu ekstatisch aus - von rhythmischem Stampfen mit den Springerstiefeln über Duette, die sich gleichermaßen zum Duell entwickelten, bis hin zum finalen »Yeah« beim Doppelkonzert für zwei Violinen, Streicher und Cembalo RV 507. Man mag über die überpointierte Spielweise die Nase rümpfen, doch Kennedy schafft es, Vivaldi phasenweise wie Heavy Metal anmuten zu lassen, aber auch zärtlich die Seele liebkosend und dann wieder groovend. Werktreue ist ohnehin nicht sein Ding, und wenn die »Vier Jahreszeiten« auch nicht auf dem Programm standen - ein paar Takte aus dem »Sommer« integrierte Kennedy einfach in den dritten Satz des Konzertes für Violine, Streicher und Cembalo RV 315.
Zu diesem Zeitpunkt hatte er seine Fans längst restlos überzeugt. Endgültig vergessen war der schwache Auftakt, als zur Zugabe das obligatorische »Purple Haze« von Jimi Hendrix erklang und damit auch dem letzten Zuhörer im Saal klar wurde, wie eng Rock und Barock miteinander verwandt sind. Und weil Fußballfan Kennedy zwischendurch sogar die Stadionhymne »You'll Never Walk Alone« anstimmte, ist folgendes Fazit erlaubt: Ein 0:1 zur Halbzeit wurde in einen überzeugenden Sieg umgedreht, der in der Nachspielzeit noch durch ein Extra-Tor gesichert wurde: Nigel Kennedy lud seine treuesten Fans zum Plaudern in die Garderobe ein.

Artikel vom 18.04.2005