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Leitartikel
Wahlkampf-Graus

»Peer Export« und Peer-Export


Von Rolf Dressler
Ehedem, in den 1950er/1960er Wiederaufbaujahren, war bei Freunden des blauen Dunstes auch eine Glimmstengel-Marke namens »Peer Export« groß im Schwange. Ob man deren Tabak auch lose erwerben und in der Pfeife rauchen konnte, ist nicht verlässlich überliefert.
Einen ganz anderen Peer-Export vollzog Jahrzehnte später die Sozialdemokratische Partei Deutschlands: Der klassische Norddeutsche Peer Steinbrück wurde vom eher spröden Kiel in die rheinische Frohnaturen-Hochburg Düsseldorf verpflanzt, um dortselbst schließlich 2002 das NRW-Regierungszepter von Wolfgang Clement zu übernehmen. Indes, den Ruhm der SPD vermochte er hier nicht zu mehren. Im Gegenteil: Seine Farben durchleiden derzeit kaum je gekannte Zustimmungsnöte, bangen dem Landtagswahlgang am 22. Mai 2005 entgegen.
Und siehe da, sogar Peer Steinbrück, der eigentlich stets abwägende Hanseat im Ministerpräsidentenamt, wird sichtlich von Nervosität gepackt. Wohl weil die Wahlkampfuhr unerbittlich tickt, gehen die Pferde nun auch mit ihm ungewohnt kräftig durch. Die FDP am Regierungsruder, wettert Steinbrück, wäre eine blanke »Zumutung« für Land und Leute. Soll heißen: Dieser blau-gelbe Verein muss verhindert werden - mit allen Mitteln.
Damit schlüpft der ausgewiesen standfeste Demokrat älterer Schule in eine Haudrauf-Rolle, die im Grunde gar nicht die seine ist. Womöglich also geniert er sich vor sich selbst, wenn er nach solch billigen Marktschreier-Polemiken des Abends zu Hause in den Spiegel schaut. Allerdings ziehen andere Polit-»Größen« leider ganz ähnliche Register, obwohl sie sehr genau wissen, dass derlei Dummsprüche dem breiten Bürgerpublikum seit langem schon der reine Graus sind.
Da erklärt FDP-Chef-Darsteller Guido Westerwelle CDU und CSU mal eben gleich im Doppelpack für rundum »unzuverlässig«, nur weil der Mindener FDP-Abgeordnete Günter Nolting bei der Wahl zum Wehrbeauftragten des Bundestages dem Sozialdemokraten Reinhold Robbe unterlag.
Auch dies ein ziemlich trauriges, zeitgeisttypisches Lehrstück für, gelinde gesagt, eigenwilliges Demokratieverständnis. Wirkliche Volksvertreter sehen anders aus. Das schert (zu) viele von ihnen aber nur herzlich wenig.
Zur Erinnerung: Vor gut fünf Jahren kanzlerte, pardon: kanzelte SPD-Regierungsvorsteher Gerhard Schröder das eigene SPD-Bundesfamilienministerium hörbar genüsslich als »Ministerium für Familie und Gedöns« ab. Aber heute plötzlich erhebt derselbe Kanzler die Familienpolitik zur Chefsache und zur »wichtigsten Querschnittaufgabe aller Kabinettsressorts«.
Wähler müssen hartgesotten sein.
»Überall regt sich Bildung und Streben, alles will die Sonne mit Farben beleben«, lässt der (auch politikerfahrene) Geheimrat Goethe seinen Dr. Faust ausrufen. Die Wahlkämpfe(r) unserer Tage kann er damit nicht gemeint haben.

Artikel vom 18.04.2005