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Nachwuchs tanzt für Europas Frieden

Bielefelder Ballettschüler fahren mit eigener Inszenierung zum Schiller-Kongress bei Wien

Von Matthias Meyer zur Heyde und Hans-Werner Büscher (Fotos)
Bielefeld (WB). Dass Maria Haus, die Chefin der heimischen Ballettschule, ihre Eleven auf künstlerisches Spitzenniveau hebt, ist mittlerweile international bekannt: Ohne in die Vorausscheidung zu müssen, wurde der Bielefelder Nachwuchs zu einem großen Wettbewerb nach Österreich eingeladen.

»Wo sind eure schwarzen Socken, Jungs?« - »Morgen haben wir sie dabei!« - »Okay. Und, Mädchen, denkt daran: Keine bunten Bänder im Haar, keine Ohrringe!« Bis aufs I-Tüpfelchen soll alles stimmen, wenn die 19 Kinder im Alter von acht bis 14 Jahren morgen in Perchtoldsdorf bei Wien ihren tänzerischen Beitrag zum Schiller-Jahr zeigen. Heute heben die jungen Künstler, 15 Mädchen und vier Jungen, vom Flughafen Hannover ab, und am Mittwoch kehren sie - vielleicht als Preisträger -Ê zurück, um von ihren Erfahrungen mit dem anspruchsvollen Thema »Europa: Friede das Ziel! - Freiheit der Traum?« zu erzählen.
Ein Jahr lang, zumindest jedoch für die Dauer der »9. Internationalen Schiller-Gespräche« wird der 1759 geborene weltoffene Schwabe zum ersten EU-Bürger erklärt. Die Bielefelder Ballettschüler waren gebeten worden, sich Gedanken zu Schiller und Europa einst, jetzt und in der Zukunft zu machen und ihre Vorstellungen tänzerisch umsetzen. »Es hat uns Erwachsene alarmiert, wie negativ die Kinder die Entwicklung sehen«, sagt Maria Haus. »Hunger, Umweltzerstörung, keiner liest mehr Bücher - so lauten ihre Prognosen.«
Diese Sicht der Dinge wurde seit November in den Proben im Gemeindezentrum an der Jakobuskirche umgesetzt, in Tanz und Text, Musik und Gebärdensprache, denn jeder soll die Botschaft verstehen können. »Originalzitate aus Schillers Werken setzen den optimistischen Kontrapunkt zur nicht so ganz frohen Grundstimmung«, erklärte die Ballettchefin am Samstag bei der Hauptprobe.
Mit den Flaggen der Länder Europas stecken die jungen Künstler ihr Areal ab, zeigen, dass das Verständnis für den Nachbarn noch wachsen muss, warnen vor der Zerstörung der Umwelt - als die Projektarbeit begann, war gerade wieder mal ein Öltanker gesunken - und verweisen mit überdimensionierter Tomate, Mais und Apfel auf die Gefahren der Gentechnik. Mit Mundschutz, Reagenzglas und Pipette spielen sie sowohl auf Schillers (14 Jahre später tödliche) Erkrankung wie auf die Aidsseuche an.
Die ersten Sätze der Genesis bilden die Eingangssequenz, »und wir fragen, wie der von der Technik faszinierte Mensch mit der Schöpfung umgeht.« Gott wird hier in dem italienisch rezitierten Text als »Wesen aller Wesen« tituliert: »Mit diesem Ausdruck soll Schillers Vater auf die Geburt seines später so berühmten Sohnes reagiert haben«, sagt Maria Haus.
Die Verquickung verschiedener künstlerischer Ausdrucksformen darf als Glücksgriff angesehen werden; lyrische Passagen zu Kompositionen von Trenet, Milhaus und Schubert wechseln mit rhythmusbetonter Folklore, »aber wir verwenden auch Stilmittel des klassischen Balletts und des Modern Dance.« Sehr ausdrucksstark stellen die Jungen und Mädchen die Anstrengungen dar, die es kostet, in unübersichtlichen Zeiten die Balance zu wahren und sich in einer lauten Umwelt die Fähigkeit zu innerer Einkehr zu erhalten.
Morgen soll ganz Bielefeld seinen jungen Botschaftern die Daumen drücken, hoffen Eltern und Schüler. Alle Beteiligten danken dem Gastgeber, dem österreichischen Kunst- und Pädagogik-Institut »Impulse«, sowie dem Bielefelder Theater, die sich die Kosten für das Projekt teilten.
Toi, toi, toi!

Artikel vom 18.04.2005