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»Nur eine weitere Station
auf unserem Leidensweg«

»Ravensberger Blätter« widmen sich dem Kriegsende

Von Matthias Meyer zur Heyde
Bielefeld (WB). Das neue Heft der »Ravensberger Blätter« ist erschienen. In blendend recherchierten, sehr gut lesbaren, zum Teil hochdramatischen Aufsätzen befassen sich drei Historiker mit dem Thema dieses Frühjahrs - mit dem Einmarsch der Amerikaner in Ostwestfalen vor 60 Jahren.

Das Kriegsende sei »nur noch eine Station unter vielen auf unserm Leidenswege«, schrieb 1947 Rektor Heinrich Angermann aus Jöllenbeck an den General a.D. Friedrich Karl Kühlwein, den unsere Leser inzwischen als Sammler von Augenzeugenberichten kennen. Der Bielefelder Historiker Martin Tabaczek hat diese Einschätzung als Titel gewählt, unter dem er die Quellen - die er auf 24 Seiten erstmals wiedergibt - analysiert und bewertet.
Kühlwein gab fast ausschließlich den Angehörigen der gebildeten Mittelschicht ein Forum. Tabaczek interpretiert ihre Berichte weniger als 1:1-Wiedergabe der Ereignisse Anfang April 1945, sondern als Zeugnis der eigenen Befindlichkeit. »Man kann daraus lesen, dass das Kriegsende keineswegs die vielzitierte ÝStunde NullÜ bedeutete, vielmehr sind Kontinuitäten im Denken zu beobachten - drei Jahre nach dem Ende der Diktatur hätte man andere Einstellungen erwarten dürfen.«
Der Bielefelder Historiker hat seine Schwierigkeiten mit der Art, wie die Plünderungen geschildert werden. Hier offenbarten sich rassistische Denkstrukturen. »Vielfach ist ganz undifferenziert von ÝPolenbandenÜ die Rede, doch nicht ein einziges Mal haben Kühlweins Informanten einen Überfall mit eigenen Augen gesehen.«
Im zweiten Aufsatz schildert der Borgholzhausener und Versmolder Archivar Richard Sautmann die hochdramatischen Ereignisse des Ostermontags 1945, als Borgholzhausen um ein Haar der Vernichtung durch die US-Air Force entgeht. Ausgangspunkt seiner Forschungen ist ein Bezirk auf dem ev. Friedhof, der einst als »Heldenfriedhof« bezeichnet wurde - hier ruhen SS-Angehörige neben Zivilisten und einer Zwangsarbeiterin.
Zeitlich weit über das Kriegsende hinaus reicht auch der Beitrag des Bielefelder Historikers Hans-Jörg Kühne, der sich des emotionsgeladenen Themas Flucht und Vertreibung annimmt. Eingebettet in einen Überblick über das Chaos im deutschen Osten kommen bei Kühne Augenzeugen zu Wort, die unter teilweise unsäglichen Umständen in Bielefeld strandeten.
Kühne, der unlängst Bücher zum Zusammenbruch veröffentlichte (»Zwischen Krieg und Frieden. Bielefeld 1945« sowie »Der Tag, an dem Paderborn unterging. 27. März 1945«; beide im Wartberg-Verlag, 10 bzw. 17,80 Euro), wertet das reiche Material einer Sammlung aus, von der Teile im Deutschland-Radio vorgestellt wurden. »Im Herbst möchte ich die Erlebnisse in Buchform veröffentlichen«, kündigt Kühne an.
»Bis heute haben die meisten Vertriebenen ihren Frieden mit der Gewalt nicht gemacht.« Kühne hält das auch für zuviel verlangt: »Die Leute wurden doch jahrzehntelang mit Ideologie abgespeist, mit dem Tenor: ÝWer hat denn den Krieg angefangen?Ü und ÝIhr seid doch entschädigt worden!Ü« Der Historiker glaubt, trotz aller gegenwärtigen Diskussionen sei das Thema gerade erst angestoßen worden. »Der geglückte Wiederaufbau in den 50ern hat sich zum Mythos verfestigt, dabei war es ein rein wirtschaftliches Wunder, das zudem im Ruhrgebiet viel besser gelang als in Ostwestfalen. Von der sehr zögernden Eingliederung der Flüchtlinge in die westdeutsche Gesellschaft wird noch zu reden sein.«
Die »Ravensberger Blätter« sind zum Preis von vier Euro im Buchhandel erhältlich. Die Historikerin Bärbel Sunderbrink von der Redaktion der »Blätter« weist auf den ausführlichen Terminplan am Ende des aktuellen Heftes hin: Hier sind alle Veranstaltungen aufgelistet, die das Kriegsende zum Thema haben.

Artikel vom 19.04.2005