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Brockensammlung ohne Jesus

Hans Zippert liest: »Poetry Night« im »Miner's Coffee« ein voller Erfolg

Von Matthias Meyer zur Heyde und Hans-Werner Büscher (Foto)
Bielefeld (WB). Wer jemals in der Schule Kunstunterricht genoss, weiß: Kunstlehrer sind entweder nicht durchsetzungsfähige Hippies oder Feldwebel a.D. - den Satiriker Hans Zippert, der am Donnerstag im »Miner's Coffee« las, haben sie jedenfalls fürs Leben geprägt.

Kultur mit hohem Unterhaltungswert, und das in Wohnzimmeratmosphäre - wo gibt's das sonst? Zur neunten »Poetry Night« hätte »Miner's«-Chef Rolf Grothegut auch 150 Karten verkaufen können (wenn denn so viele Gäste in die Bar hineinpassen würden), und er hätte immer noch Besucher auf die nächste Lesung vertrösten müssen. Hans Zippert zog natürlich besonders, denn erstens ist der Mann Bielefelder, zweitens stellt er die vielleicht beste Glosse in die deutschen Zeitungslandschaft (»Zippert zappt« in der »Welt«), und schließlich hat der 48-Jährige Witz und Humor für drei.
Wer spaßig sein will, braucht Ideen. Wer liefert die? Natürlich die Stadt Bielefeld, besonders das Ratsgymnasium, wie es sich in den 70ern präsentierte. »Da zeigte uns der Kunstlehrer eine Nadel, ließ sie fallen, und wenn ihr Aufschlag nicht zu hören war, bekam die ganze Klasse einen Tadel.«
So streng waren damals die Bräuche, aber geschadet hat's jener Generation nicht: Mit Zippert machten 1978 einige talentierte Autoren Abitur, außerdem der bekannte Moderator Andreas Liebold, der das entzückte Publikum im »Miner's« leichterhand durch den Abend flutschen ließ, und last not least der anarchische TV-Spaßvogel Ingolf Lück.
»Mehr Freude als Liebold in der Intro verbreitet hat, hab ich nicht zu bieten - wir müssen uns die Pointen jetzt gut einteilen«, behauptet Zippert, fürchterlich bescheiden. Der Schelm! Zweieinhalb Stunden (Pause inklusive) kichert die ganze Bar, und im eigens reservierten Sessel will sich Zipperts Mutter Erika (82), eine ehemalige Gilead-Krankenschwester, ausschütten vor Lachen, auch wenn der respektlose Sohnemann ihr geliebtes Bethel durch den Kakao zieht.
Oder die Brockensammlung, eine höchst nächstenliebende Aktion, mit der Jesus angeblich wenig hätte anfangen können: »Er wäre nie auf die Idee gekommen, Klamotten, die ihm einer schenkte, einfach weiterzuverscherbeln.« Kann sein, dass der punktgenau beobachtende Satiriker da irgendwas falsch verstanden hat, aber Satire darf ja (zu Recht) alles.
Zippert, der mit Frau und zwei Kindern in Oberursel lebt - »dort muss ich immer ganz genau erklären, was Bielefeld ist« -, spielt gerne mit Worten: »Arminia ist doch der Fanclub des erfolgreichen Kulturrevolutionärs Arminius . . .« Er denkt vieles konsequent zu Ende: »Wer irgendwo nicht mitmacht bei dem, was alle tun, ist ein Muffel, der Elektriker, der keine Muffen anpackt, also ein Muffenmuffel.«
Oder er dreht ein bisschen an der Sprachschraube - »der Zweite Weltkrieg muss wiederholt werden: IOC annulliert Ergebnis - Stalin war gedopt, Roosevelt hätte nicht ausgewechselt werden dürfen, und Verteidigungsminister Wörner erklärt: ÝDiesmal muss für uns aber ein erster Platz drin seinÜ« - und schon schlägt die Wirklichkeit um ins Absurde.
»So funktioniert Deutschland« lautet ein Zippert-Buchtitel, und wer es liest, erfährt, dass unser Land nicht von unfähigen Politikern regiert wird, sondern von TÜV, Stiftung Warentest, Aldi und ADAC. »Wenn Tiere verreisen« ist seine zweite Skurrilitätensammlung; Chamäleons, falls Sie's noch nicht wussten, reisen ohne Fahrkarte, weil jeder Schaffner die perfekt ihrer Umgebung angepassten Echsen übersieht.
Unsinn also, aber einer der höheren Sorte. Streckenweise Kabarett, denn auch wenn Hans Zippert seine Jugend leichtfertig vertändelte (»jahrelang konnten Sie mich von 18 bis 0.30 Uhr telefonisch in der ÝHammer MühleÜ erreichen«), ist er so hochpolitisch wie alle, deren gesellschaftliches Bewusstsein in den 70er Jahren erwachte.
l Bei der nächsten »Poetry Night« im »Miner's Coffee« am Donnerstag, 12. Mai, liest Dietmar Bittrich, der das weltberühmte Gummibärchen-Orakel erfand. Wer sich nicht jetzt Karten sichert, muss hinterher wieder draußen bleiben!

Artikel vom 16.04.2005