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Vor dem Leben kommt der Tod

Mit dem Ausweis frühzeitig Klarheit schaffen - Organspende hat zwei Seiten

Von Andrea Roderfeld
Alles hat zwei Seiten - das gilt ganz besonders für die Organspende. Während für den Spender der endgültige Tod besiegelt ist, beginnt für den Empfänger häufig ein neues Leben. Extremer kann der Unterschied nicht sein. Um die Organspende kreisen viele Gerüchte, Vermutungen und Horrorvisionen. Manchen aber fehlt einfach die Information. Dabei ist es so einfach, einen Spendeausweis auszufüllen.

»Ich bin einfach nur froh, dass es jemanden gab, der bereit war, einem anderen mit diesem Geschenk zu helfen, weiterzuleben«, beschreibt ein Mann, der vor neun Jahren ein Herz implantiert bekam, seine Gefühle. Das »Ja« des Spenders war gleichzeitig auch ein »Ja« zum Leben für einen anderen Menschen.
Es wäre sicherlich für viele Menschen leichter, einer Organentnahme zuzustimmen, wenn sie vorher wüssten, für wen die Spende gedacht ist: fürs Kind, für Eltern, Verwandte oder Freunde. Aber das ist nur bei einer Lebendspende der Fall.
In den Medien und im Internet kreisen kritische Berichte. Neben den tödlichen Tollwutinfektionen durch Organspende kommen erschwerend Berichte von Angehörigen hinzu, die von »Ausschlachten«, »Kannibalismus« und »Recyclinggut« schreiben: »Ich habe meinen Sohn noch einmal gesehen, er erinnerte mich an ein ausgeschlachtetes Auto. Kanülen steckten noch in seinen Armen... Die Augen fehlten...«
Solche Erfahrungen sind die Ausnahme, aber sie verunsichern Menschen, die sich generell für die Organspende aussprechen würden. »Nach der Organentnahme wird der Leichnam in würdigem Zustand zur Bestattung übergeben. Die Angehörigen können in jeder gewünschten Weise Abschied vom Verstorbenen nehmen«, heißt es dazu in der Info-Broschüre der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung.
Das 1997 von Bundestag und Bundesrat verabschiedete Transplantationsgesetz regelt die Spende, Entnahme und Übertragung von Organen und Geweben einschließlich der Voraussetzungen für eine Lebendspende und stellt den Organhandel unter Strafe. Es schafft damit Rechtssicherheit in diesem sensiblen Bereich. Das Gesetz fördert ein Höchstmaß an Transparenz und Gerechtigkeit bei der Verteilung der Spenderorgane und sichert die Anonymität von Spender und Empfänger.
Die evangelische und katholische Kirche haben das Transplantationsgesetz begrüßt und in einer gemeinsamen Erklärung Stellung bezogen: »Nach christlichem Verständnis ist das Leben und damit der Leib ein Geschenk des Schöpfers, über das der Mensch nicht nach Belieben verfügen kann, das er aber nach sorgfältiger Gewissensprüfung aus Liebe zum Nächsten einsetzen darf (...) Die Bereitschaft zur Organspende nach dem Tod ist ein Zeichen der Nächstenliebe und Solidarität mit Kranken und Behinderten.«
Trotz klarer Gesetze und Aufklärungkampagnen gibt es viel zu wenig Spenderorgane. Die Warteliste in den Transplantationszentren ist lang. Im Jahr 2004 konnten in Deutschland zwar insgesamt 1081 Organe transplantiert werden, davon 156 in Nordrhein-Westfalen, doch die Zahlen sind rückläufig, 2003 waren es noch 1140 beziehungsweise 200 in NRW.
Zur Spende eignen sich Herz, Lunge, Leber, Nieren, Bauchspeicheldrüse, Darm und Teile der Haut, sowie die Hornhaut der Augen, Gehörknöchelchen, Herzklappen und Teile der Blutgefäße, der Hirnhaut, des Knochengewebes, des Knorpelgewebes und der Sehnen.
Leber, Nieren, Herz und Lunge sind die »begehrtesten«, also die am dringendsten gebrauchten Organe. Nach aktuellem Stand warten 9337 Menschen auf eine Niere, 1340 auf eine Leber, 547 auf ein Herz und 407 auf eine oder zwei Lungen. Hinzu kommen rund 200 Patienten, die gleich mehrere Organe benötigen. Die durchschnittliche Wartezeit liegt in Deutschland bei fünf bis sechs Jahren - zu lange für viele Betroffene.
Und obwohl jedes Jahr rund 400 000 Menschen in deutschen Krankenhäusern sterben, kämen lediglich rund ein Prozent für eine Organspende in Frage. Denn nur wenn der Hirntod vor dem Herzstillstand eintritt, lassen sich die Organe transplantieren. Die Zustimmung zur Spende lässt sich am einfachsten mit dem Spendeausweis realisieren. Aber zur Zeit tragen lediglich drei Prozent aller Hirntoten und zwölf Prozent der Gesamtbevölkerung in Deutschland den kleinen Schein in der Tasche - seit vielen Jahren eine kons-tante, aber kleine Größe.
Dabei wäre es gut, sich frühzeitig darüber im Klaren zu sein, ob und welche Organe im Todesfall gespendet werden sollen. Nicht als eine Frage von »richtig« oder »falsch«, sondern vielmehr als persönliche Entscheidung. Die bliebe dann den Angehörigen im Todesfall erspart.
Der Spendeausweis ist leicht zu bekommen: in vielen Arztpraxen, Kliniken, über das Internet und bei Informationsveranstaltungen. Auf dem scheckkartengroßen Schein kann man eintragen, welche Organe und Gewebe für eine Spende in Frage kommen, welche auf keinen Fall entnommen werden dürfen und auch, falls man gänzlich gegen eine Organspende ist. Dort kann man die Entscheidung für den Fall der Fälle auch auf eine andere Person übertragen. Und jederzeit ganz unbürokratisch abändern.
www.organspende-
kampagne.de

Artikel vom 17.06.2005