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Statistik wichtiger als Arbeit

Landkreistag: Bundesagentur schönt Zahlen - Vermittlung leidet

Von Ernst-Wilhelm Pape
Bielefeld (WB). Eine »saubere« Statistik ist der Bundesagentur für Arbeit wichtiger als die Vermittlung von Arbeit. Das geht aus einer internen Geschäftsanweisung an die Regionaldirektionen hervor.

Im Hinblick auf die 4,5 Millionen erwerbsfähigen Hilfebedürftigen (ehemalige Sozialhilfeempfänger und Arbeitslosenhilfeempfänger) sei der Überprüfung der Statistik die »höchste Priorität« einzuräumen, heißt es in der internen Geschäftsanweisung, die dieser Zeitung vorliegt. Solange eine Erwerbsfähigkeit nicht zweifelsfrei feststehe, sei der Betroffene aus der Arbeitslosenstatistik zu streichen. Von den 4,5 Millionen erwerbsfähigen Hilfebedürftigen sind 60 Prozent als arbeitslos gemeldet. »Wir mussten die Statistik aufgrund von Fehlmeldungen dem realen Bild anpassen«, sagte Behördensprecher Ulrich Waschki. Zahlen lägen noch nicht vor, obwohl die Prüfung bis zum 18. März abgeschlossen sein sollte.
Der Deutsche Landkreistag hat das »Frisieren der Statistik« hingegen als reine Zeitverschwendung bezeichnet, das niemandem zu Arbeit verhelfe. Angesichts von mehr als fünf Millionen Arbeitslosen und Personalmangel in den Arbeitsämtern sei das reine Effekthascherei, sagte Markus Keller vom Landkreistag dieser Zeitung.
Im Berliner Bezirk Treptow-Köpenick sollten 3000 arbeitslose Jugendliche von der Agentur für Arbeit aufgefordert werden, sich ausbildungswillig zu melden. Diese Jugendlichen hätten dann aus der Arbeitslosenstatistik gestrichen werden können. Die Aktion sei von einem Amtsleiter aber verhindert worden. Keller: »Jungen Leuten sollte Hoffnung auf einen Ausbildungsplatz gemacht werden, obwohl es keine konkreten Lehrstellenangebote gab. Das ist irrsinniger Aktionismus.« Auch werde hinter kranken Arbeitslosen hertelefoniert, ob sie auch wirklich krankgeschrieben seien. Für die Zeit der Erkrankung, auch wenn es nur zwei Wochen seien, würden sie dann nicht mehr als arbeitslos in der Statistik geführt.
Auch die bundesweite Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen hat die Erfahrung gemacht, dass die Vermittlung von Arbeit nicht an erster Stelle steht. Es gebe lange Wartezeiten, da die Arbeitsämter immer noch mit sich selbst beschäftigt seien, sagte der Sprecher der Koordinierungsstelle, Martin Künkler (Bielefeld), dieser Zeitung. Beratung, Vermittlung und Betreuung seien in vielen Fällen nicht besser geworden. Es gebe nach wie vor lange Wartezeiten und zudem Beratungsgespräche auf dem Flur, da die Räume nicht ausreichten.
Die CDU-Landtagsabgeordnete Angelika Gemkow (Bielefeld) hat die Bundesagentur aufgefordert, die Arbeitslosigkeit und nicht die Statistik zu bekämpfen. Geschönte Zahlen brächten keine Arbeit. Gemkow: »Knapp 124 000 Arbeitslosen in Ostwestfalen-Lippe stehen nur 6000 offene Stellen gegenüber. Allein in Bielefeld müssen 60 000 Menschen von Sozialleistungen leben.«
Für die Empfänger von Arbeitslosengeld II sind in Deutschland mehr als 340 Arbeitsgemeinschaften (Arbeitsagenturen und Sozialämter) zuständig. Hinzu kommen 69 sogenannte Optionskommunen und -kreise, die die Langzeitarbeitslosen in eigener Regie betreuen. Seite 4: Kommentar

Artikel vom 16.04.2005