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Eine Woche
Zahnurlaub
in Budapest

Patienten sparen - Kammer warnt

Von Dietmar Kemper und
Jörn Hannemann (Foto)
Bielefeld (WB). Als Norbert Finke aus Bielefeld im Herbst vergangenen Jahres in der Dusche ausrutschte, brach sein Kiefer und der 62-Jährige schlug sich drei Zähne aus. »In Deutschland sollte ich laut Kostenvoranschlag 3026 Euro für die einfachste Prothese bezahlen, in Ungarn kostete die Behandlung nur 1500 Euro«, erzählt er.
Helmut Dedering bekommt für die Vermittlung eine »kleine Anerkennung« aus Ungarn.

Als Empfänger von Arbeislosengeld II. hätte er sich neue Zähne in Deutschland »gar nicht leisten können«. Der arbeitslose Elektroniker gehörte zu einer Gruppe, die vom 6. bis 12. März eine Woche »Zahnurlaub in Budapest« verbrachte. »So ein Urlaub kann zum Abenteuer werden«, warnt dagegen das Vorstandsmitglied der Zahnärztekammer Westfalen-Lippe, Josef M. Sobek, und rät von dieser Art Tourismus ab. Es reiche nicht aus, sich in einer Woche neue Zähne machen zu lassen. Vielmehr müsse der Mund »korrekt vorbehandelt werden«, und das könne Wochen oder sogar Monate dauern. Sobek: »Zahnärzte arbeiten am menschlichen Körper, nicht an einem Werkstück.« Wenn Dentisten in Deutschland Prothesen von ungarischen Kollegen begutachteten, seien die Erfahrungen »durchweg negativ«.
Das sieht Helmut Dedering völlig anders. Der 76-Jährige aus Bielefeld organisiert den Zahnurlaub samt Stadtrundfahrt, meldete dazu vor acht Jahren ein Gewerbe an und vermittelt seitdem Patienten an den Zahnarzt und Kieferchirurgen Attila Kaman. In der Donaumetropole leitet der Mediziner das »Implantcenter«. Dedering schwärmt: »Die Ausstattung ist auf dem neuesten Stand, Maschinen und Material kommen aus Deutschland und in der Praxis ist es 100-prozentig sauber.« Weil Ärzte und Schwestern Deutsch sprechen, sei die Verständigung kein Problem. Die Preisunterschiede erklärt Dedering so: »Die Löhne sind in Budapest viel niederiger. Und außerdem macht ein Zahnarzt in Ungarn 800 bis 1000 Implantate im Jahr, ein Dentist in Deutschland dagegen nur 150.«
Zufrieden mit der Behandlung ist auch Peter Franke. »Ich hatte unten nur noch fünf eigene Zähne, von denen einer gezogen werden musste«, erzählt er. Für die Prothese mit Teleskopkrone habe er in Bielefeld 3545 Euro bezahlen sollen. Das Zahnziehen und Befestigen der Prothese mit der Teleskopkrone habe ihn in Budapest nur 1320 Euro gekostet. »Ich kann wieder Äpfel und Kotelett essen«, freut sich der 60-jährige Autolackierer.
Sein Begleiter Finke hatte »keine Probleme«, die Behandlung von der AOK absegnen zu lassen. Finke: »Ich habe der Kasse den Heil- und Kostenplan aus Budapest zugefaxt, und vier Tage später hatte ich den Bewilligungsbescheid in meinem Briefkasten.« Sobek von der Zahnärztekammer Westfalen-Lippe kennt das anders: »Bevor Krankenkassen Zuschüsse geben, schicken sie den Patienten zum Gutachter.« Weil der Zahntourismus zunehme, mahnt Sobek: »Wer zu einem solchen Urlaub aufruft, vernichtet in Deutschland Arbeitsplätze.« Die heimischen Mediziner seien mit der Rolle, nur noch Schmerzen behandeln zu sollen, unzufrieden. Die höheren Preise erklärten sich durch die strengen Standards für die Ausstattung der Praxen, Hygiene und Ausbildung der Ärzte. Davon profitierten die Patienten durch hochwertige Prothesen.

Artikel vom 18.04.2005