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Rechtschreib-Chaos perfekt

Doppel-S kommt zum 1. August - Worttrennung wird gestrichen

Von Dietmar Kemper
Bielefeld (WB). An den deutschen Schulen sollen zum 1. August nur die unstrittigen Teile der Rechtschreibreform wie »ss« statt »ß« in Kraft treten. Das hat gestern die Kultusministerkonferenz (KMK) in Bonn angekündigt. Demnach wird auch die Schreibweise mit drei Konsonanten wie in »Schifffahrt« beibehalten.

Dagegen werden die umstrittene Getrennt- und Zusammenschreibung wie in »Acht geben« sowie die Zeichensetzung vom Rat für deutsche Rechtschreibung überarbeitet. Nach Angaben der KMK will das Expertengremium mit Bayerns Kultusminister Hans Zehetmair an der Spitze den staatlichen Stellen am 3. Juni Änderungen vorschlagen. Während der Lehrerverband VBE und der Paderborner Schulbuchverlag Ferdinand Schönigh von Chaos und Verunsicherung der Schüler sprachen, wertete der Bielefelder Germanist Jörg Drews die Ankündigung als »teilweise Kapitulation« der Schreibreformbefürworter.
»Schüler und Lehrer sind die Leidtragenden«, sagte die Vorsitzende des Verbandes Bildung und Erziehung im Bezirk Detmold, Barbara Hommel. Nach fünf Jahren Unterricht in den neuen Regeln sei es vor allem für die Kinder »schwer, wieder zurückzurudern«. Mit Logik habe die Rechtschreibreform nichts zu tun, kritisierte Hommel. Der Rechtschreibrat hätte »vor den Veränderungen und nicht erst hinterher« gehört werden müssen. Dann wäre das Chaos vermutlich ausgeblieben.
»Genervt« sind die Verantwortlichen des Verlages Ferdinand Schöningh in Paderborn mit 900 Schulbuchtiteln hauptsächlich für die Fächer Deutsch, Geschichte und Politik. »Wir wissen noch nicht, wie wir jetzt verfahren sollen«, sagte Susanne Baumann gestern dieser Zeitung. Der Verlag müsse die inhaltlichen Änderungen abwarten. Die Umstellung pro Schulbuchtitel nehme etwa drei Monate Zeit in Anspruch. Sollte es zur Rückkehr zur alten Rechtschreibung kommen, schätzt die Branche die Kosten auf bis zu 250 Millionen Euro. »Wir beherrschen die alte Rechtschreibung kaum noch«, sagte Baumann.
Als Etappensieg der Vernunft stuft der Bielefelder Germanist Jörg Drews die Entwicklung ein: »Nachdem die Katastrophe schon perfekt zu sein schien, deutet sich jetzt ein Ausweg an.« Der Rat für deutsche Rechtschreibung habe »gute Vorschläge« gemacht. »Achtgeben« oder »kennenlernen« auseinander zu schreiben, widerspreche Sinn und Betonung, erklärte Drews. Auch bei der Zeichensetzung befürwortet er zur besseren Gliederung die häufigere Verwendung des Kommas. Die Vorschläge des Rechtschreibrates müssten von den Kultusministern schnell umgesetzt werden. Gleichwohl solle den Schülern eine Übergangsfrist eingeräumt werden, um sich an die Rückkehr zu den alten Regeln zu gewöhnen.
Wenn der Rechtschreibrat seine Arbeit am 3. Juni abgeschlossen hat, werden Lehrer- und Elternorganisationen angehört, kündigte die Kultusministerkonferenz an. Änderungen könnten dann nach dem 1. August 2005 Teil des Unterrichts werden. Schulen würden so in die Lage versetzt, die Rechtschreibung im nächsten Schuljahr auf verlässlicher Basis zu vermitteln. Seite 4: Kommentar

Artikel vom 13.04.2005