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Leitartikel
Pflegefall Deutschland?

Schüler sind
doch auch
nur Kinder...


Von Rolf Dressler
Die Erwachsenen machen sowieso, was sie für richtig halten, wenn sie, ob privat oder dienstlich, etwas zu Papier bringen. Bei der famosen Rechtschreib-Schiffbruchreform aber springen die Erwachsenen, angetrieben und angeführt vom Bürokraten-Väterchen Staat höchstpersönlich, mit den Schülern um wie mit den sprichwörtlichen dummen Jungen (und Mädchen, versteht).
Rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln. Nach dieser schrägen Melodie fuhrwerkt die Politik nun schon bald zehn Jahre lang auf einem Nonsens-Projekt herum, das inzwischen eigentlich nur noch für Karikatur und Kabarett taugt - wenn, ja wenn die Sache nicht so traurig wäre. Denn ausbaden müssen den Schlamassel jene Kleinen, die der Nation doch angeblich über die Maßen lieb und wert sind.
Übrigens, um mit einem von Politikschaffenden hilfsweise gern ausgestreuten »Missverständnis« aufzuräumen: Ausgebrütet hatten die Schnapsidee der Verschlimmbesserung bewährter Rechtschreib-, Grammatik-, Trenn- und Zeichensetzungsregeln nicht irgendwelche Geheimbündler-Mächte, sondern die Damen und Herren Kultusminister der 16 Bundesländer. Das denkwürdige Ergebnis: Verzweifelt versuchen sie jetzt, irgendwie von ihrer Missgeburt zurückzurudern, ohne genau zu wissen, wo ihnen der Kopf steht. Und nun werden hunderttausende Schüler und Lehrer wohl auch am Ernstfall-Tag 1. August 2005 noch immer nicht verbindlich wissen, ob sie regelgetreu fortan »kopfstehen« oder »Kopf stehen« schreiben müssen.
Sei's drum, das ist ja nicht un- ser Problem, werden Millionen zu zweit und allein Erziehende (oder »Alleinerziehende«?) bei sich denken. »Immer mehr« von ihnen fühlten sich mit der Erziehung ihrer Kinder bekanntlich ohnehin zunehmend »überfordert«, wie Nordrhein-Westfalens SPD-Kinder- und Jugendministerin Ute Schäfer der Mitwelt erst unlängst mahnend oder anklagend (?) zu bedenken gab.
Mit Verlaub, wird da nach den nicht nur rechtschreibreformgeplagten Lehrern und deren Schülern etwa schon die nächste Krisen-Fall-gruppe ins Blickfeld gerückt?
Ach und weh oder was auch sonst, ins krause Bild fügt sich auch dies:
- Nach dem Motto »Kampftrinken mit Reifezeugnis, bis der Arzt kommt« werben Touristikunternehmen überaus erfolgreich für Abiturienten-Party-Reisen.
- Und im Lande Hessen wartet die Beratungsorganisation »Pro Familia« mit einem wahrlich umwerfenden Angebot auf: Sie schult 14- und 15-jährige Mädchen und Jungen, damit diese als sozusagen beglaubigte »Sexperten« Mitschülern Aufklärungsunterricht erteilen können.
Eltern überfordert, Lehrer ebenfalls, schon Babys und Kleinkinder tagsüber in familienferne Betreuungseinrichtungen ausgelagert und später als Schüler dann obendrein auch noch von so fa- belhaften Erwachsenen-Erfindungen wie der sogenannten Rechtschreibreform traktiert.
Deutschland - ein Pflegefall?
Das müsste wirklich nicht sein.

Artikel vom 14.04.2005