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Millionen säumten seinen letzten Weg

Beifall, Tränen und Gebete auf dem Petersplatz

Von Peer Meinert
und Carola Frentzen
Rom (dpa). Letztes Geleit für Johannes Paul II.: Windböen fegen über den Petersplatz, die mächtigen Staatsgäste stehen in Reih und Glied, die Blicke der Welt richten sich auf einen schlichten Holzsarg. Was sich hier vollzieht, ist eines der letzten großen Rituale, die die ansonsten so nüchterne westliche Welt zu bieten hat.
Bundeskanzler Gerhard Schröder (oben links) nahm zusammen mit Bundesaußenminister Joschka Fischer und Bundestagspräsident Wolfgang Thierse an der Trauerfeier für Papst Johannes Paul II. teil. Fotos: dpa/Reuters

Als die Priester die Hostien verteilen, sinken Gläubige auf die Knie. Die Zeremonie strebt ihrem Höhepunkt entgegen: »Santo subito«, sofort heilig sprechen, skandiert die Menge. Ein schwerer Abschied. Die Beisetzung des Papstes in Rom ist zur Demonstration des Glaubens geworden.
»Jetzt steht Johannes Paul am Fenster des Hauses des Vaters und sieht uns und segnet uns.« Selbst der ansonsten so unterkühlte Kardinal Joseph Ratzinger wird in seiner Predigt dem Bedürfnis der Menschen gerecht. Er spricht vom Leiden des Papstes, von den letzten dramatischen Auftritten des Schwerkranken, er spricht von seiner Jugend in Krakau, wo Karol Wojtyla als Schauspieler auf der Studentenbühne stand. Er spricht sogar vom Nazi-Terror, den der junge Karol erlebte und der ihn letztlich mit dazu veranlasste, Priester zu werden.
Nüchterne Lebensdaten sind nicht das, was die Gläubigen hören wollen. Das ist nicht der Stoff, der ihre Seelen berührt. »Wer den Papst beim Beten gesehen hat, wer seine Predigten gehört hat«, der spüre die besondere Kraft des Papstes, die in der Liebe zu Jesus wurzelt, ruft der weißhaarige Ratzinger in die Menge. Da brandet Beifall auf, Minuten lang. »Wiederkehr des Spirituellen?, Rückkehr des Religiösen?« Die Kommentatoren sind ratlos. Was hier auf dem Petersplatz geschieht, was in den letzten Tagen in Rom vor sich ging - so richtig erklären kann das niemand.
Sind zwei, drei oder vier Millionen Pilger in Rom? Genau wissen das nicht einmal die italienischen Behörden. »Ein schier unendlicher Menschenstrom« - den sieht ein deutscher Malteser-Helfer auf dem Petersplatz an diesem Morgen auf sich zukommen. Ein Meer polnischer Fahnen, mehr als eine Million Landsleute des toten Papstes sind gekommen. »Für uns ist es doch völlig normal hier zu sein, schließlich war er der Vater aller Polen«, sagt ein Paar aus Danzig. Andere Polen zogen sich die Nationalfahne über die Schultern, wie sonst die Fans beim Fußball. Alle halten sich kleine Radios ans Ohr - sie wollen die Predigt auf polnisch hören.
Neben dem Toten im schlichten Holzsarg sind die Gläubigen selbst die Hauptpersonen der Feierlichkeiten: Auch dies ist eine der Besonderheiten des Schauspiels, das sich in Rom vor den Augen der Welt vollzieht. Wohl selten waren Staatschefs wie George W. Bush, Jacques Chirac oder Bundeskanzler Gerhard Schröder so sehr Statisten wie bei dieser Trauerfeier. Bush saß sogar in der zweiten Reihe der Staatsgäste. Als er vor ein paar Wochen in Mainz war, wurde noch aus Sicherheitsgründen das halbe Rhein-Main-Gebiet lahm gelegt. In Rom musste sich der »mächtigste Mann der Welt« der Hausordnung des Vatikans beugen: Hunderttausende Gläubige um ihm herum auf dem Petersplatz, ein Albtraum für seine Sicherheitsleute.
Bunt gemischt war das Glaubensvolk, dunkle Trauerkleidung war nicht angesagt, viel, sehr viel Jugend war darunter, junge Typen mit punkigem Haarschnitt sogar. Wohin treibt die Kirche?, fragen sich manche. Ist diese Beerdigung in Rom Schlussstrich oder Beginn einer neuen Ära? Da erschallt aus den kühl-rationalen, aber eher »glaubensfernen« Nordländern der Ruf nach Reformen der Kirche, nach Modernisierung. Doch ein junger Student aus Sardinien, kaum 20 Jahre alt, sagt: »Ich hoffe, dass der nächste Papst genauso wird wie Karol.« Und immer wieder ist auch zu hören: »Wir können uns gar keinen Nachfolger vorstellen.«
Und dann, nach fast drei Stunden Messe, kommt er, der endgültige Abschied: Die Glocken des Petersdoms läuten, tief, dumpf und bedrohlich ist ihr Klang heute. Zwölf Träger nehmen den Holzsarg mit dem Toten auf die Schultern. Stürmisch war das Leben Karol Wojtylas, auch beim Abschied fegt ein kräftiger Wind über den Petersplatz. Zum letzten Mal wird der Sarg der Menge gezeigt, Beifall brandet auf, die Menschen schwenken Tücher, immer frenetischer wird das Klatschen. Es ist der letzte Blick auf den Sarg, »Giovanni Paolo« skandieren die Gläubigen, die Glocken werden immer lauter. Jetzt erst, am Ende der langen Messe, brechen die Menschen in Tränen aus. Papst Johannes II. entschwindet dem Blick seines Glaubensvolkes.

Artikel vom 09.04.2005