10.05.2005
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Livia ergriff die Initiative: »Kein Licht! Erst ziehen wir die Vorhänge dicht.«
Wenig später schaltete sie im Flur das Licht an. Als erstes nahmen sie sich das Wohnzimmer vor. Doch schon nach wenigen Augenblicken war ihnen klar: Das Bild konnte unmöglich hier verborgen sein. Allein die Größe machte ein Verstecken in diesem überschaubaren Zimmer unmöglich.
»Komm, lass uns gehen!« drängte Duncan. »Hier ist nichts!«
»Sei nicht so ungeduldig«, erwiderte sie gereizt. »Du kannst sicher sein, wir finden etwas, was uns weiterhelfen wird. Ich spüre es É«
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Was war es nur?
Ihr Blick fiel auf den Kleiderschrank. Ja, die geteilte Schranktür! War sie nicht von oben bis unten verspiegelt gewesen? Die Entdeckung trieb ihren Blutdruck nach oben. »Duncan! Komm schnell!« rief sie in den Gang hinaus.
Als er das Schlafzimmer betrat, schob Livia gerade Angelos Garderobe im Schrank zur Seite.
»Das darf nicht wahr sein. Komm hierher.«
»Was ist?«
»Sieh nur den Kleiderkasten!«
»Was ist mit ihm?«
»Der gleiche Schrank wie in meiner Wohnung in Venedig. Wenn es nicht sogar derselbe ist!«
»Ja, und É?«
»Hier stand im Juni noch ein anderer Schrank.«
»Ich verstehe nicht. Wir suchen doch nach meinem Bild.«
»Dieser Schrank ist kein gewöhnliches Möbel. Angelo hatte seine Ýeiserne ReserveÜ darin verstaut, die Handzeichnungen und Druckgrafiken mit den Echtheitszertifikaten É«
»Du meinst É das Bild sei da drin? Überleg mal. Er müsste die Leinwand eng zusammengerollt haben É Schrecklich!«
»Schauen wir nach!« erwiderte Livia und schob mit einem Griff die Bügel zusammen. »Nimm das raus hier und wirf alles auf das Bett.«
Als der Blick auf den Schrankboden frei war, schnalzte sie mit der Zunge. »Der alte Trick!«
»Was meinst du?« fragte Duncan ungeduldig.
Sie deutete auf den Schrankboden. »Darunter! Ich sage dir, da drunter ist was. Ich spüre es.«
»Viel zu klein, Livia. Da passt doch unser Velázquez nicht mal als Rolle hinein.«
Livia kniete sich nieder. »Hier das kleine kreisrunde Loch.«
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Livia zeigte auf das Nachtkästchen. »Hol mal die Lampe.«
Duncan knipste sie an. Die Länge der Zuleitung reichte gerade aus. Im Licht der Lampe verschlug es ihnen den Atem. Bündel von Banknoten weiteten ihre Augen.
»Das muss ein Vermögen sein!«, rief Livia.
Duncan griff sich ein Bündel. »Dollars! Alles amerikanische Dollars.«
»Wie viel É wie viele, glaubst du, sind das?« fragte sie.
Daraufhin nahm er das ganze Bodenbrett heraus. »Das ist mehr als ein Vermögen. Das ist der pure Reichtum!«
»Siehst du dort!« Livia zeigte auf ein grob aufgerissenes Kuvert. Duncan nahm es und zog den darin steckenden Briefbogen heraus und reichte ihn Livia. Sie überflog die eilig geschriebenen Zeilen: É für den Velázquez É Und darunter stand É von É und danach die Initialen: M.P.d.C. Danach war die Summe: É 1,2 Millionen Dollar in Einhundert-Dollar-Scheinen É, und in Klammern (nicht registriert) notiert.
Livia war wie vor den Kopf geschlagen. Die Initialen konnten nur auf einen Herrn zutreffen. Und dieser Herr hieß Mauricio Peroni de Castro, aus der Galerie Alberto Pieramanti.
»Ein Komplott! Ich habe es geahnt. Sie stecken alle unter einer Decke.« Livia stand auf und sah Duncan entschlossen an: »Los komm, das Geld gehört uns.«
»Du meinst wirklich?«
»Klar. Es gehört uns. Oder nimm es als Pfand für das uns gestohlene Bild.« Livia wedelte mit dem Zettel: »Das Papier beweist es: Angelo hat deine Kopie als Original an den Silberschopf verkauft. Und vor uns liegt die Bezahlung für diesen Diebstahl.«
»Wer ist Silberschopf?«
»Das erkläre ich dir später, mein Liebling. Wir müssen sehen, dass wir hier verschwinden.«
»Wohin mit dem Geld?«
»Nehmen wir erst mal mit. Aber ich denke, wir kennen inzwischen einen guten Ort in der Schweiz, wo es sicher aufgehoben sein wird.«
Ein Lächeln umspielte Duncans Mundwinkel. Auch er hatte sich erhoben und sah hinab auf den Reichtum. »Ich glaube, wir schaffen es nicht auf einmal. Wir werden mehrmals zum Wagen gehen müssen.«
»Da fällt mir etwas ein, Liebling. Wie hast du gesagt: Bitte einmal noch É und dann immer wieder?«
Er küsste sie zärtlich und erwiderte: »Engel, die Betonung liegt auf Ýimmer wiederÜ!«
Tonda, Toskana,
13. September 1965
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Frieden war das Gefühl, das auch Livia beim Blick in diesen Garten empfand. Ihr war, als hätte man ihr nach einer langen Zeit der Prüfungen und Ängste einen Ölzweig zum Sieg vorangetragen. Einen Ölzweig, wie ihn auch auch die Taube im Schnabel gehalten hatte, als sie von der verheerenden Sintflut zu Noahs Arche zurückkehrte, die auf einem Berg gelandet war. Wie passend, überlegte sie. Duncan und sie hatten endlich ihre eigene rettende Arche entdeckt, und nun gurrten über ihnen die Tauben im ersten Licht des neuen Morgens É
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Plötzlich spürte sie Hände, die sich auf ihren nackten Bauch legten, und die Wärme eines straffen Körpers, der sich sanft an ihren Rücken schmiegte. Sie schloss die Augen. Duncan streifte sacht ihr Haar hoch und begann ihren Nacken mit seinen Lippen zu liebkosen. Es war wie im Paradies É
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Diesmal hatten Duncan und sie das Glück auf ihrer Seite gehabt. Der Dollarsegen war in ein Niemandsland gefallen, auf das sie als einzige Anrechte besaßen. Der Erlös für die Kopie gehörte Duncan als Maler und war zugleich der Ersatz für ihre von Angelo verspielte Mitgift. Doch aus einer so unerwarteten Kriegsbeute ein unanfechtbares Eigentum zu machen hatte einiger Überlegung bedurft. Solange der Dollarschatz in der Wohnung lagerte, hatten sie sich umsichtig verhalten müssen, da die Möglichkeit bestand, dass die Kriminalpolizei sie in ihre Ermittlungen einbezog.
Artikel vom 10.05.2005